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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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solche Angst ein, dass ich kaum einen sinnvollen Satz zustande brachte.« Ihre Stimme geriet ins Wanken, erstickte beinahe an der Erinnerung an die Demütigung. »Kurz nach Beginn des zweiten Trimesters haben sie mich wieder nach Hause geschickt.«
    Simon schwieg einen Augenblick. »Deshalb diese Reise?«, erriet er behutsam.
    Sie nickte. »Ein Vorschlag von meiner Mentorin am Bedford. Um Abstand zu gewinnen. Um mutiger zu werden, allein mit Miss Sidgwick in der Fremde. Ich dachte auch, es hätte geholfen, aber ...« Ihr tiefer Atemzug drohte in ein Schluchzen umzuschlagen. »Ich bin mir da nicht mehr so sicher, seit ich wieder zu Hause bin.«
    »Ist es denn so schlimm«, fragte er leise, »einmal versagt zu haben? Nicht mutig zu sein?«
    »Du verstehst das nicht!«, widersprach sie heftiger als beabsichtigt. »Du hast keine Schwester wie Grace, die mit glänzenden Noten vom College zurückgekommen ist, weil ihr ohnehinimmer alles gelingt und jeder sie dafür bewundert! Und keinen Bruder wie Stephen, der einer der Besten in Cheltenham war! Ich bin nur das kleine, süße, unbeholfene Dummchen der Familie!« Schwer atmend hielt sie inne, und ihr Gesicht war heiß vor Scham, dass sie Simon das alles anvertraut, und vor Schreck, dass sie ihn derart angefahren hatte.
    Eine Weile sah er sie nur an. Er begehrte so sehr, Ada an sich zu reißen und sie zu küssen, dass es wehtat. In einem letzten Aufflackern von Willensstärke verbarg er die Hände hinter seinem Rücken, krallte sie dort ineinander und begnügte sich mit einem schiefen Grinsen. »Stimmt. Ich bin der ungezogene Rabauke, der Tunichtgut, von dem ohnehin niemand viel erwartet. Meine Familie eingeschlossen.« Er senkte den Kopf und strich mit dem Fuß über den Rasen, als wollte er ihn glätten. »Charles wird als Ältester einmal alles erben, und meine beiden anderen Brüder haben Rechtswissenschaften studiert. Rupert ist Richter, und Hugh wurde sogar zum Kronanwalt berufen.« Er zuckte mit den Schultern. »Zu mehr als zu Sandhurst hat es bei mir nicht gereicht, und ich kann froh sein, wenn ich einigermaßen durch die Prüfungen durchgekommen bin.«
    Adas Hände ballten sich zu Fäusten, damit sie nicht dem Drang nachgab, Simon übers Haar zu streichen, sich tröstend an ihn zu schmiegen.
    »Ich möchte zurück ans College«, flüsterte sie in die Nacht hinaus, die es ihr leicht machte, das Bild von ihrem Leben in Worte zu gießen, wie es sich unter südlicher Sonne in ihr geformt hatte und unter der behutsamen Hege von Miss Sidgwick herangereift war. Dieses Bild, das sie mit all den Zeichnungen von Ruinen und mediterranen Dörfern, mit den Skizzen aus Museen und Schlössern in der ledernen Mappe in ihrem Koffer mit nach Hause gebracht hatte. »Ich möchte es noch einmal versuchen – sehen, ob ich es nicht doch kann. Ich würde Kunst als Fach belegen und Musik. Ich ...« Ein Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus. »Ich würde später gerne unterrichten. Zeichnen undMalen, vielleicht auch Musik und Gesang. Auch wenn ...« Verlegen zog sie eine Schulter hoch, und ein Anflug von Schuldbewusstsein streifte sie, dass sie ausgerechnet Simon davon erzählte, wo sie doch außer Miss Sidgwick noch niemanden eingeweiht hatte. Nicht einmal Grace. »Auch wenn ich mir im Augenblick nicht vorstellen kann, wie ich vor den Schülern jemals den Mund aufbekommen soll.«
    »Was hält dich davon ab?«
    Adas Lächeln bekam etwas Trauriges. »Es wird nicht ganz leicht sein, meinen Vater davon zu überzeugen, mir noch einmal eine Chance zu geben.« Ihre Augen wanderten hinüber zum Haus, dessen Fenster im unteren Stockwerk anheimelnd erleuchtet waren. Als besäßen die Mauern ein Gedächtnis, glaubte sie, von dort ein schwaches Echo zu hören. Die Befehle ihres Vaters und Stephens wütende, trotzige, manchmal unter Tränen hervorgebrachte Widerreden. Damals, im zweiten Jahr, nachdem der Colonel aus Indien heimgekehrt war, seinen Kindern fast noch ein Fremder, und als Stephen mit zehn auf den modernen, militärisch ausgerichteten Zug der Schule geschickt wurde, anstatt auf den klassischen, der die Schüler für das Studium an einer Universität vorbereiten sollte. Und im vergangenen Frühjahr, zur selben Zeit, als Ada sich anschickte, vor der im Bedford College erlittenen Schmach ins Ausland zu flüchten, und als Stephen mit seinem hervorragenden Zeugnis und mit den Empfehlungen seiner Lehrer in der Hand darum bettelte, wenigstens ein Ingenieurstudium absolvieren zu dürfen

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