Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
Oder aber als ob sie es so nah an ihrem Herzen haben wollte wie möglich.
»Danke«, flüsterte sie heiser. Jeremy nickte nur.
Stille breitete sich aus über der zuvor noch so redseligen Runde, eine Stille, in der es knisterte vor unausgesprochenen Gedanken und Fragen. Vielsagende Blicke wurden getauscht, streiften Grace und Jeremy, die es vermieden, einander anzusehen.
Es war Royston, der diese Stille durchbrach. »Tja«, seufzte er und griff hinter sich. »Mit einem solch skandalösen, aufregenden Geschenk kann sich die banale Gabe natürlich nicht messen, die Simon und ich für dich ausgesucht haben.« Vergeblich suchte er den Blick des Freundes aufzufangen; Simon hatte nur Augen für Ada.
Grace lachte und nahm das Päckchen entgegen, in dem sich ein Paar sichtlich teure Reithandschuhe befanden. »Danke, euch beiden, sie sind wunderschön!«
»Nicht doch«, gab Royston bescheiden zurück und hob seinen Becher wie zu einem Trinkspruch. »Das Allerschönste heut’ weit und breit – seid immer noch Ihr, holde Maid!«, reimte er schnell zusammen. Gelächter hob an, als er dafür von Cecily einen Klaps ins Genick erhielt. »Ach ja, dich gibt es ja auch noch«, frotzelte er, und bevor ihn noch mehr Hiebe trafen, ergriff er rasch Cecilys Hand, drückte einen Kuss darauf und ließ sie nicht mehr los.
Besänftigt kuschelte sich Cecily an Roystons Schulter. »Erzähl, Grace! Was hast du sonst noch bekommen?«
Erleichtert darüber, sich unverfänglicheren Dingen zuwenden zu können, berichtete Grace von dem gläsernen, bunt schillernden Federhalter, den Stephen ihr geschenkt hatte, von den Ohrringen ihrer Großmutter, die sie von ihren Eltern bekommen hatte und die sie heute Abend tragen würde. Sie beschrieb in begeisterten Worten die filigrane Spitzenborte, die Becky, sehr geschickt in solchen Dingen, ihr gehäkelt, und den bemalten Fächer, den Ada ihr aus Paris mitgebracht hatte. Und immer wieder trafen sich dabei ihre Augen mit denen von Jeremy.
Ohne Licht kein Schatten. Ohne Schatten kein Licht.
9
Die Kerzenflammen der Windlichter, der Schimmer der Lampions in den Eichen ließen den nächtlichen Garten von Shamley Green wie verwunschen wirken, wie einen Ort jenseits der Zeit. Mit jedem Schritt, den Ada tat, verdichteten sich die Stimmen und das Lachen der Gäste zu einem sanften Brausen hinter ihr, wie ein Windhauch, der durch die Blätter strich, während die Melodien der Zigeunerkapelle immer sehnsüchtiger zu klingen schienen, je weiter sie sich entfernte. Die zirpenden Klänge, die der Bogen den Saiten entlockte, brachten auch in Ada etwas zum Schwingen. Ein Flattern in der Brust, ein süßes Ziehen in der Magengegend, irgendwo zwischen Verlangen und Melancholie, Unrast bringend und gleichzeitig ein Gefühl inneren Friedens in sich tragend; eine Empfindung, die umso intensiver war, als Simon neben ihr herging. Ihre Finger glitten über die hochgewachsenen, in voller Blüte stehenden Rosensträucher, so als könnten sie den seidigen Blütenblättern ähnliche Töne entlocken wie den Tasten des Pianos im Musikzimmer des Hauses.
»Warst du eigentlich auch auf einem College – so wie Grace?«
Adas Finger verharrten über einer üppig gefüllten Rose. Ein schlichtes Nein würde vermutlich genügen, um diese Klippe zu umschiffen, und dennoch kam ihr diese kleine, im Grunde doch so harmlose Lüge nicht über die Lippen. Aber wie konnte sie bei der Wahrheit bleiben, wenn ihr doch so viel daran lag, dass Simon gut über sie dachte? Jäh wandte sie sich ab.
»Hab ... hab ich etwas Falsches gesagt?«
Ohne Simon anzusehen, schüttelte sie den Kopf. Ihre Hand schloss sich behutsam um die Blüte, genoss die zarte Berührung der weichen Blattzungen, die sich kühl anfühlten, während Ada glühte vor Scham.
»Ada ... bitte, sag doch was!«
Die Bestürzung in seiner Stimme brach das eiserne Band, das sich vor so vielen Monaten um Adas Brust gelegt hatte. Sie holte tief Atem. »Ich war am Bedford, genau wie Grace. Allerdings nur ein paar Monate.« Dann bin ich kläglich untergegangen in den zu großen Fußstapfen, die sie mir dort hinterlassen hat. »Ich ... ich hatte mich für Französisch, Englisch und Geschichte eingeschrieben, genau wie sie. Und als ich dann dort war ...« Es würgte sie im Hals. »Ich konnte es einfach nicht. Ganz gleich, wie sehr ich mich auch bemühte, wie fleißig ich auch lernte – sobald ich aufgerufen wurde, brachte ich keinen Ton heraus, und die schriftlichen Arbeiten jagten mir eine
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