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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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trat er einen Schritt zurück und sah sie unter diesem Schutzschild hervor zerknirscht an. »Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, du hättest es schon vergessen.« Er holte tief Atem und ließ die Hand wieder sinken. »Da muss etwas mit mir durchgegangen sein. Vielleicht weil du an dem Abend so betörend ausgesehen hast.«
    Grace nickte, kaute jedoch grüblerisch auf ihrer Unterlippe, während sie das Armband betrachtete.
    »Du nimmst mir das doch nicht übel? Wir sind doch immer noch Freunde – oder, Grace?« Bittend blickte Leonard sie an, voller Hoffnung.
    Die tiefe, in so vielen Jahren gewachsene Zuneigung für ihn rauschte wie eine Sturmflut in Grace empor. »Natürlich, Len. Die besten!«
    »Für immer?« Ein schelmisches Grinsen schien in seinem Gesicht auf und nahm seiner Frage ihr Gewicht.
    Grace lachte, wie von einer schweren Last befreit. »Ja, für immer!«
    Sein Grinsen wurde breiter, und er nahm Grace’ Hand. Zusammen liefen sie zurück und ließen sich atemlos wieder zwischen ihren Freunden niederfallen. Sogleich scharten sich Becky und Ada um Grace und bewunderten das Schmuckstück.
    »Danke, Tommy!« Grace wuschelte dem Jungen durch das widerspenstige Haar, worauf dieser rot anlief und nur zu gern dem mit feuchter Schnauze vorgebrachten Drängen Gladdys nachgab, ihm das Fell zu kraulen. Dabei strahlte er aber übers ganze Gesicht, als sei dieses Geschenk ganz allein sein Einfall gewesen.
    »Danke, Sis!« Grace drückte ihre Freundin fest an sich.
    »Ich wusste ganz einfach, dass es dir gefallen würde«, gurrte Cecily zufrieden.
    Stephen stieß Jeremy in den Rücken, und als dieser nicht reagierte, gleich noch einmal. Die abwehrende Kopfbewegung seines Freundes übergehend, rief er: »Grace! Jeremy hat auch noch etwas für dich!«
    Unter all den Augenpaaren, die sich erwartungsvoll auf ihn richteten, faltete Jeremy in langsamen, fast widerwilligen Bewegungen sein Jackett auseinander und zog aus der Innentasche ein flaches braunes Päckchen heraus, reichte es ihr wortlos.
    Grace hockte sich auf die Knie, schlug sorgsam das Packpapier zurück und betrachtete von allen Seiten das Buch, das darunter zum Vorschein kam: Das Leder in blassem Türkis war vernarbt und stellenweise eingerissen, die pastelligen Blumen darauf abgegriffen und verblichen, die Goldprägung auf dem Rücken zum Teil abgeschabt. Als sie es aufblätterte, blieben ihre Augen auf einer ganz bestimmten Stelle haften, und das Blut schoss ihr in die Wangen.
    »Was ist es denn?« Cecily machte den Hals lang. Grace blieb ihr die Antwort schuldig. »Zeig her!« Die Freundin reckte sich ungeduldig vor und schnappte sich das Buch, sog scharf die Luft ein, als sie den Titel entzifferte.
    »Was ist das für ein Buch?« Beckys Neugierde war größer als der Sog von Stephens Nähe, größer sogar als ihre Abneigung gegen Cecily.
    »Les Fleurs du Mal« , antwortete diese, offenbar derart schockiert, dass sie selbst jegliche Feindseligkeit vergaß und Becky mit großen Augen das Buch zeigte. »Von Baudelaire. Puh, Grace, lass das bloß nicht deine Eltern sehen!« Mit spitzen Fingern blätterte sie durch die vergilbten, muffig riechenden Seiten und überflog die Verse der Blumen des Bösen ; Gedichte, ebenso sinnlich-erotisch wie morbide, so drastisch wie poetisch, von denen einige, die in der ersten Ausgabe enthalten gewesen waren, in Frankreich fast fünfundzwanzig Jahre danach noch immer als so anstößig und unmoralisch galten, dass sie dort verboten waren. »Findest du das nicht ein reichlich unpassendes Geschenk, Jeremy?«
    Er schwieg, und Grace spürte seinen Blick auf ihrem brennenden Gesicht. Sie streckte die Hand nach dem Buch aus. »Gib es mir zurück, Sis.«
    »Sag bloß, dir gefällt so was?!«
    »Ja, mir gefällt so was «, erwiderte Grace gereizt. »Gib es mir zurück!«
    »Gleich.« Cecily betrachtete fasziniert eine Seite im vorderen Teil des Buches. »Für Grace – von Jeremy, Mittsommer 1881« , begann sie mit hochgezogenen Brauen vorzulesen und wehrteleichthin Roystons Hand ab, als er ihr das Buch wegnehmen wollte. »Ohne Licht kein Schatten ...«
    »Das reicht, Sis!« In Leonards Stimme lag eine unverhohlene Warnung.
    »... Ohne Schatten kein Licht.« Mit gerunzelter Stirn wandte sie sich zu Jeremy hin. »Was soll das denn bitte bedeuten?«
    »Das geht dich gar nichts an!« Grace entriss ihr wütend das Buch, presste es vor ihre Brust. Als ob sie es dadurch vor noch mehr neugierigen Händen aus dieser Runde beschützen könnte.

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