Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
eine solche Begegnung bot: zwar kein informeller Anlass, aber doch einer, der ohne allzu steifes Zeremoniell auskam.
»Mutter – Vater.« Das Kinn selbstbewusst hochgereckt, die Iris seiner Augen hell, beinahe durchscheinend in erwartungsvoller Vorfreude, trat Simon mit Ada zu seinen Eltern. »Darf ich euch Miss Ada Norbury vorstellen? Ada – meine Mutter, Lady Alford.« Das Gesicht zu unregelmäßig, um es schön zu nennen, war die zweite Lady Alford mit ihrem porzellanhellen Teint und dem kupferfarbenen Haar dennoch eine aparte, immer noch jugendliche Erscheinung. Ihr hatte Simon seine verträumten Augen und den vollen, breiten Mund zu verdanken. »Mein Vater, Lord Alford.« Mit Ende fünfzig sichtlich um einiges älter als seine Frau, dafür beinahe einen halben Kopf kleiner, hatte der Baron etwas Verlässliches, Bodenständiges, Unerschütterliches, beinahe wie die alten Eichen, die Shamley Green umgaben. Wenn man Vater und Sohn miteinander verglich, lag die Vermutung nahe, dass sich Simons zu kräftig geratene Züge in einigen Jahren zu dem distinguierten Aussehen Lord Alfords auswachsen würden.
Ada war hin- und hergerissen zwischen dem Drang, zu fliehen, und dem Wunsch, die beiden kennenzulernen und dabeieinen möglichst guten Eindruck zu hinterlassen. Simons Arm, auf dem ihre behandschuhten Finger ruhten, gab ihr jedoch den nötigen Halt, als sie einen Knicks andeutete. »Guten Abend, Eure Ladyschaft – Euer Lordschaft.«
»Guten Abend, Miss Norbury!« Die Herzlichkeit, mit der Lady Alford sie ansprach und ansah und ihre Hand nahm, erinnerte Ada an die zarten Ausläufer der Wellen des Mittelmeeres: so sanft, so unablässig wie diese über den Saum des Strandes hinwegstrichen und den Sand mit sich forttrugen, so spürte Ada, wie ihre Schüchternheit in Gegenwart von Simons Mutter weggespült wurde. »Mit Ihren Eltern und Ihren Geschwistern hatten wir bereits im Herbst das Vergnügen. – Maxwell, du erinnerst dich doch sicher an die Norburys?«
»Selbstredend«, ließ der Baron sich vernehmen. Seine Stimme war tief und voller Herzenswärme, und jedes seiner Worte versprühte einen behaglichen Charme. »Sir William und Lady Norbury sind zu beneiden, mit gleich zwei solch bezaubernden Töchtern beschenkt worden zu sein.«
Ada errötete bis unter die Haarwurzeln. Ihr blieb jedoch keine Zeit, in ihrer Verlegenheit zu verharren.
»Sie waren längere Zeit im Ausland, nicht wahr?«, erkundigte sich Lady Alford.
»Ja, auf dem Kontinent. Etwas mehr als ein Jahr.« Adas Rechte, die sich unter der Seide des Handschuhs verkrampft hatte, entspannte sich ein wenig.
»Simon war letzten Sommer auch in Italien, wie er Ihnen bestimmt erzählt hat. Bei uns«, Lady Alford schenkte ihrem Gatten einen leicht wehmütigen Blick, »liegt es schon etwas länger zurück, fast drei Jahre. Seither gab es in unserer Familie immer abwechselnd eine Verlobung, eine Hochzeit oder eine Taufe zu feiern, sodass uns einfach die Zeit fehlte. Wir hoffen, wir können das bald nachholen.« Sie strich mit dem Handrücken über den Ärmel seines Smokings, eine zarte Geste, die Ada anrührte. »Gefiel es Ihnen denn im Süden?« Unter dem offenen, aufmerksamen Blick von Simons Mutter, der bar jeder Aufdringlichkeit oder Oberflächlichkeit war, legte sich Adas Scheu zunehmend.
»Sehr! Obwohl ich es überall herrlich fand, denke ich jetzt am liebsten an die Zeit zurück, die ich in Paris verbracht habe.«
Lady Alfords Lächeln vertiefte sich. »So wie Sie das sagen, klingt beinahe schon Sehnsucht heraus ... Wissen Sie – immer, wenn ich höre oder lese, Paris sei die Stadt der Liebe, kommen mir nicht zuallererst frisch Verliebte in den Sinn oder Paare in den Flitterwochen. Ich denke dabei an die Liebe, die man unweigerlich für diese Stadt empfindet, die einem das Herz so leicht und frei und beschwingt schlagen lässt.«
Adas übrig gebliebene Befangenheit zerging wie ein verharschter, hartnäckiger Rest Frühjahrsschnee unter der Märzensonne. »Genauso habe ich es auch empfunden!«, rief sie selig aus. »Allein schon dieses Licht! Es zeichnet alle Formen weich und verleiht den Farben eine sanftere Tönung. Kein Wunder, dass die Stadt immer schon Künstlern eine solche Inspiration war! Paris bringt die Seele zum Träumen – ich würde fast behaupten, sie verleiht ihr Flügel.« Sie bemerkte gar nicht, wie sicher sie plötzlich wirkte, als sie ihre Worte mit lebhafter Gestik unterstrich. Welch eine Leidenschaft aus ihren Augen loderte und
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