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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Freuden von Champagner und lockerem Lebenswandel.
    Bis Grace das Schweigen nicht länger ertrug. »Du machst dir nicht viel aus solchen Abenden, nicht wahr?«
    Jeremy trank einen Schluck. »Nein, wirklich nicht.«
    »Deine Mutter fühlt sich hier auch nicht besonders wohl – das ist zumindest mein Eindruck.«
    Grace klang bedrückt, beinahe als betrachte sie dies als ihr eigenes Versagen, und so fasste Jeremy es auch auf. »Uns sind solche Feste einfach gänzlich fremd. Sie war ohnehin nur mir zuliebe hier.«
    »Ist sie schon gegangen?« Grace klang erschrocken.
    Jeremy nickte. »Ich hab sie vorhin in ihre Pension im Dorf gebracht. Sie nimmt morgen früh den ersten Zug.« Das Glas in seiner Hand blinkte auf, als er damit herumspielte. »Danke, dass du sie Lady Norbury vorgestellt hast. Und dass ihr beide euch heute ein bisschen um sie gekümmert habt.«
    Sie lachte sanft. »Das war doch selbstverständlich.«
    »Nein, Grace, das war es nicht, und das weißt du auch.« Sein Kinn schob sich vor. »Ich fand das einen feinen Zug von dir.«
    Grace senkte rasch den Kopf; sie wollte sich nicht anmerken lassen, wie sehr sie sich über seine Bemerkung freute. Die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen, scheitelte sie mit der Spitze ihres Schuhs das Gras, bis sie den Kopf mit einem tiefen Einatmen wieder hob. »Sie scheint über deine Berufswahl nicht sonderlich glücklich zu sein.«
    Sein Glas verharrte auf halbem Wege in der Luft. »Das hat sie dir erzählt?«
    »Sie hat es in andere Worte gefasst, aber es war ihr anzusehen, dass sie es so empfindet.«
    Jeremy richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf das Glas in seiner Hand und gab einen Laut von sich, halb Schnauben, halb Lachen. »Wie machst du das nur immer«, raunte er, »dass jeder vor dir sofort sein Innerstes nach außen kehrt?«
    »Muss ich wohl von meiner Mutter haben«, entgegnete sie leichthin. »So ganz trifft das auch nicht zu: Fast jeder tut das. Mit Ausnahme ...«
    »... von mir. Ich weiß.« Jeremy klang belustigt, wurde dannaber mit einem Mal ernst, als er hinzufügte: »Nein, sie ist nicht glücklich damit. Sie hätte sich gewünscht, dass ich einen anderen Lebensweg einschlage.« Er machte eine kurze Pause. »Und dennoch hat sie mir jeden Penny, den sie erübrigen konnte, zu meinem Ersparten dazugeschossen, damit ich nach Sandhurst kann. Das rechne ich ihr hoch an.«
    Obwohl es nicht den Anschein hatte, als sei er betrunken, noch nicht einmal beschwipst, schien etwas an ihm, das Grace immer verhärtet vorgekommen war, heute Abend gelockert, nachgerade gelöst. Und davon ging eine solch ungeheure Anziehung aus, dass Grace unwillkürlich auf ihn zutrieb. Sie sehnte sich danach, ihren Arm unter den seinen zu schieben, ihr Gesicht an seine Schulter zu drücken – doch sie wagte es nicht. Nicht an diesem Ort, der so trügerisch war und ihnen vorgaukelte, sie wären ganz unter sich, wo doch jederzeit jemand herüberspazieren konnte. »Warum ist deine Mutter gegen die Offizierslaufbahn?«, fragte sie stattdessen. »Dein Vater war doch schließlich auch in der Armee.«
    »Glaub mir, Grace, das Leben mit meinem Vater war weitaus weniger glanzvoll«, er wies auf die hell erleuchtete Turnhalle hinter ihnen, »als das hier.« Jeremy verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein, starrte dann in die Dunkelheit vor ihnen, zwischen die Baumstämme, deren Laub vom Licht der Sterne silbrig übergossen war.
    »Meine Mutter«, sagte er schließlich langsam, »hat erfahren müssen, was der Krieg aus einem Menschen machen kann. Mein Vater ...« Sein nächster, tiefer Atemzug schien ihm Mühe zu bereiten. »Der Mann, den sie vor dem Krieg geheiratet hatte, der ist auf der Krim geblieben. Zurück kam ein anderer. Für mich war es wahrscheinlich leichter, ich hab ihn ja nicht anders gekannt.« Er rieb sich mit dem Knöchel seines Daumens über den Mund. »Keine schöne Vorstellung, dass es einem mit dem einzigen Sohn genauso ergehen könnte.«
    »Und trotzdem hast du dich dafür entschieden«, stellte sie behutsam fest.
    Er gab ein verhaltenes Lachen von sich, kurz und angehaucht, das tief unten in seiner Kehle hängen blieb. »Ja, trotzdem hab ich mich dafür entschieden. Was hätte ich nach der Schule auch anderes tun sollen? Meinen Onkel fragen, ob er auf dem Hof noch zwei Hände gebrauchen kann? Oder im Gemischtwarenladen meines anderen Onkels aushelfen? Dafür hätte ich nicht all die Jahre am Christ’s Hospital büffeln

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