Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
gebellten Befehlen dazu getrieben wurden, ihrem Körper das Äußerste abzuverlangen, bis die Muskeln brannten und schmerzten und der Schweiß in Strömen herablief, bei Übungen, die an Akrobatik grenzten. Eine leichtfüßige Lebenslust füllte heute die Halle und schwang im Takt der Musik mit. Keine Marschmusik war es, die die Militärkapelle, auf einem Podest zusammengedrängt, zumBesten gab, sondern die beliebtesten Walzer und Quadrillen, Polkas und Mazurkas. Taft und Crêpe de Chine, Musselin und Tüll, Federn und Pelzbesatz glänzten in Weiß und Schwarz, leuchteten in Türkis, Zitronengelb, Apfelgrün, Magentarot, Koralle und Königsblau, schimmerten in Rosé und Elfenbein und Taupe. Die Abendroben der Ladys, die schmucken Uniformen der Gentlemen machten aus der spartanischen Turnhalle ein Gewächshaus voll kostbarer Tuberosen, Lilien, Orchideen und Teerosen, tropischen Faltern und exotischen Vögeln. Und trotz der einzelnen sperrangelweit aufgerissenen Scheiben der Sprossenfenster hoch über den Köpfen der Ballgäste hatte sich auch die Luft zur dampfigen Schwere eines Treibhauses verdichtet, getränkt von den Parfums der Damen, dem Dunst von erhitzter Haut und schweißdurchfeuchtetem Haar und Stoff.
»Evelyn, bitte«, kam es müde von Lord Ashcombe. Ihm war anzusehen, wie sehr es ihm widerstrebte, sich in diesem Trubel aufzuhalten – wie gern er sich wieder in die Einsamkeit von Ashcombe House zurückgezogen hätte, wo er am liebsten mit der Flinte unter dem Arm und einer Meute Jagdhunde neben sich über die Heide zu streifen pflegte.
»Nein, Nathaniel!«, widersprach sie, ohne ihren Gatten anzusehen. Ihre Aufmerksamkeit war gänzlich von einem jungen Paar in Anspruch genommen, das sich gerade im Walzertakt an ihr vorüberdrehte, und die Art, wie sie ihren Mund spitzte, verriet, dass die beiden keine Gnade vor ihren Augen fanden. »Nachher ist das Wehklagen groß! Und erfahrungsgemäß obliegt es dann mir, die Wogen wieder zu glätten. Als hätte ich keine anderen Sorgen!« Großgewachsen und überschlank, die Gesichtszüge klar und aristokratisch, wirkte Lady Evelyn, vor allem wenn sie sich über etwas ereiferte, wie ein feinnerviges, nervöses Rennpferd. Ihre steingrauen Augen richteten sich auf ihren Erstgeborenen. »Lady Cecily hat Stil und Klasse, und deshalb ist es mir unbegreiflich, wie ihre Wahl ausgerechnet auf dich fallen konnte.« Schnipp-schnapp.
»Danke, Mutter«, erwiderte Royston trocken, »für diese erhellenden Einsichten. Der Segen, um den ich dich und Vater gebeten habe, hätte mir allerdings vollauf genügt.«
»Wozu?« Schnipp-schnapp. »In drei Monaten bist du mündig und kannst tun und lassen, was du willst. Als ob du das nicht schon immer getan hättest ... Grundgütiger, habt ihr den Boden einmal genauer betrachtet?« Ihr zugeklappter Fächer richtete sich auf die Dielen, die zwar frisch poliert, aber doch über die Jahre sichtlich zerschrammt waren, beschrieb dann einen Bogen zur Decke, wo Trapez und Ringe mehr schlecht als recht hinter der feierlichen Dekoration verborgen waren. »Mir kommen doch erhebliche Zweifel am Zustand unseres Empires, wenn sich eine Institution wie Sandhurst für einen solchen Anlass nichts Besseres leisten kann als derart dürftige Räumlichkeiten! Von diesen jämmerlichen Papiergirlanden ganz zu schweigen!«
Mit einem stummen Seufzen sahen Vater und Sohn sich an.
Etwas unbeholfen legte der Earl die Linke auf Roystons Schulter und schüttelte ihm mit der Rechten die Hand. »Mein Einverständnis und meinen Segen habt ihr jedenfalls.«
»Nun, wenn Sie weder verlobt noch versprochen sind, Miss Norbury, dann sind Sie demnach noch zu haben, und ich kann mir weiter Hoffnungen machen«, schloss der Honourable Roderick Ashcombe in ganz eigener Logik, während seine lichtgrauen, noch kindlich wirkenden Augen hingebungsvoll auf Grace’ Gesicht geheftet waren.
Grace lachte. »Weder verlobt noch versprochen, in der Tat – aber dennoch vergeben, Mr Ashcombe!«
»Unmöglich, Miss Norbury!« Er blickte entrüstet drein, während er krampfhaft bemüht war, Grace nicht auf die Füße zu treten und nicht aus dem Takt der Musik zu kommen. »Was könnte das auch für ein Gentleman sein, der einer Dame wie Ihnen nicht sogleich einen Antrag –«
»Nicht verzweifeln, Grace, deine Rettung naht!«, mischte sich Royston ein und fasste Grace am Ellenbogen.
»Heeey«, protestierte Roderick. »Du hast doch schon eine Herzdame – du brauchst keine zweite!«
»Werd du
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