Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
brauchen. Und für die Universität hätt’ ich nicht getaugt – ich bin kein geborener Gelehrter wie Stephen!« Seine Stimme, gerade noch energisch, durchdrungen von ätzender Bitterkeit, wurde leise, leise und glühend, und Grace spürte seine Augen heiß auf ihrem Gesicht. »Ich bin nicht dumm, Grace, aber ich hab auch kein besonderes Talent für irgendwas. Trotzdem will ich’s zu was bringen. Ich glaube – nein, ich bin sicher – in der Armee ... In der Armee ist das möglich. Und ich weiß, dass ich es schaffen kann.«
Das wirst du auch. Ich glaube an dich. Alles, was ihr an Erwiderungen in den Sinn kam, schien ihr zu abgeschmackt, zu phrasenhaft, mochte sich vielleicht belanglos oder gar herablassend anhören. Stattdessen legte sie ihre Hand auf Jeremys Brust und hoffte, dass er verstand. Unter ihren Fingerspitzen hob und senkte sich sein Brustkorb bei jedem Atemzug, und beinahe glaubte sie seinen Herzschlag zu spüren. Sie erschauerte, als er ihren Nacken umfasste und mit zwei Fingern durch ihren Haaransatz strich. Grace’ Stirn sank gegen sein Schlüsselbein, und ein glücklicher Seufzer entfuhr ihr.
»Das nenn ich mal clever«, drang eine Stimme wie Säure zwischen sie.
Jeremy und Grace blickten auf. Aus dem Halbdunkel hinter ihnen schälten sich die Umrisse eines Pärchens, und ein sichtlich angetrunkener Freddie Highmore fuhr fort: »Kriegt erst den Abschluss in den Hintern geschoben ...«
»Bitte, Freddie – hier sind Ladys anwesend!«, giggelte das Mädchen, das an seinem Arm hing.
»... und schmeißt sich jetzt an die Tochter vom Colonel ran, um die Leiter gleich noch weiter raufzufallen!«
Grace’ Finger lösten sich von Jeremy, widerstrebend zwar, aber sie hielt es für klüger. Jeremy jedoch schloss seine Hand um die ihre und presste sie fest an seine Brust. »Jeder, wie er’s verdient, Highmore!«
Highmore richtete das Glas in seiner Hand auf Jeremy und zielte mit abgespreiztem Zeigefinger auf ihn. »Du kriegst in jedem Fall noch, was du verdienst! Dafür sorg ich schon, keine Bange!«
»Fred-diiee«, maulte das Mädchen und zerrte an seinem Arm. »Können wir nicht wieder reingehen? Ich will tanzen!« Widerstrebend ließ er sich von ihr rückwärts mitziehen. Sein Finger peilte immer noch drohend Jeremy an, bis er auf seinen unsicheren Beinen ins Stolpern geriet und sich auf dem Absatz umdrehte.
Grace und Jeremy verharrten reglos und schweigend, Grace’ Hand immer noch in Jeremys, beide unberührt von Highmores Drohung. Als ob das, was sie verband, sie von allem Übel abzuschirmen und zu beschützen vermochte. Beide warteten darauf, dass sich die Unruhe legte, die Highmores Auftritt hinterlassen hatte, Staubkörnchen gleich, die langsam wieder zu Boden sanken, nachdem ein Windstoß sie aufgewirbelt hatte.
»Du denkst jetzt hoffentlich nicht«, flüsterte Jeremy schließlich heiser, »dass ich deshalb ...«
»Nein«, hauchte sie, ohne ihn anzusehen. »Gewiss nicht.«
Sie spürte unter ihrer Hand, wie etwas in ihm sich anspannte und wie dann ein Ruck durch ihn hindurchging. »Wir beide kommen aus ganz verschiedenen Welten, Grace.« Worte, die an einen Holzzaun erinnerten, ebenso dürr und sperrig.
Ihr Herz schlug schneller; trotzdem nahm sie sich Zeit, ihre eigenen Worte mit Bedacht zu wählen. »Es ist doch nicht wichtig, woher jemand kommt. Nur wohin er geht.«
Jeremy setzte mehrmals zu einer Erwiderung an, die ihmnicht über die Lippen zu kommen schien. Bis er schließlich hervorbrachte: »Siehst du das wirklich so?«
Ein Lächeln, irgendwo zwischen Neckerei und Zärtlichkeit, umspielte ihren Mund, als sie das Gesicht zu ihm hob. »Kennst du mich so wenig, dass du mich das noch fragen musst?«
Er blieb ihr die Antwort schuldig. Es war ein stummes Zwiegespräch, das sie führten, mit ihren Atemzügen, die tiefer und länger wurden. So wie Grace’ Fingerkuppen sich in seine Uniformbrust gruben und dann sanft darüberstrichen und wie Jeremys Daumen über ihren Handrücken rieb. Wie Grace’ Wange sich in die Wärme schmiegte, die sein Gesicht, das dem ihren so nah war, ausstrahlte und wie er den Duft ihres Haares einsog.
Nicht jetzt. Nicht hier.
Jeremy holte scharf Atem und bog den Kopf zurück. »Du wolltest mich doch nicht etwa wieder überreden, mit dir zu tanzen?«
Dunkel hoben sich die Umrisse ihrer Freunde von dem weichen, buttrigen Licht ab, das aus Fenstern und Türen strömte und den spitzgiebeligen Bau unter seinem Glockentürmchen wie mit einem Glorienschein
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