Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
erst mal trocken hinter den Ohren, Brüderlein!«, brummte Royston mit schroffer Fürsorglichkeit. »Dann suchst du dir vielleicht auch nicht mehr ausgerechnet die Ladys aus, die eine Nummer zu groß für dich sind!« Er verpasste Roderick einen Knuff gegen die Schulter und zog Grace mit sich fort.
Einen trübsinnigen Ausdruck auf dem blässlichen, konturlosen Gesicht, sah Roderick seinem Bruder und Grace hinterher; dann seufzte er auf und hielt mit unvermittelt wieder wachem Blick Ausschau nach einem lohnenderen Ziel für seine noch ungelenken Verführungskünste.
»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten«, raunte Royston in einem Winkel der Turnhalle Grace zu. »Sei doch so gut und trommle die anderen draußen vor der Tür zusammen. Sis und ich haben euch etwas mitzuteilen; Len weiß schon Bescheid.«
Grace umklammerte seine Hand. Ihr Herz schlug schnell, und ihre Augen glänzten. »Habt ihr euch etwa ...«, setzte sie an, doch Royston legte den Zeigefinger auf die Lippen und blinzelte ihr verschwörerisch zu, bevor er sich durch die Menge hindurchmanövrierte, hinüber zum Kommandanten, und ihn mit einem respektvollen Zusammenschlagen der Hacken und einem kurzen Salut ansprach, während Grace sich ihrerseits wie ein Fisch im Wasser durch das Ballgetümmel bewegte, auf der Suche nach den anderen.
»Und – was sagst du?« Die Hände in die Taille gestützt, stellte Becky sich vor Stephen hin. Als er sie fragend ansah, drehte sie den Kopf hin und her. »Ist dir meine neue Frisur noch gar nicht aufgefallen?«
Unsicher betrachtete er ihr aufgestecktes und von Schmucknadeln geziertes Haar, das für ihn aussah wie immer bei einem solchen Anlass. So wie das Haar aller Ladys aussah heute Abend.Von seinen beiden Schwestern hatte Stephen jedoch gelernt, dass es auf eine solche Frage wie die von Becky nur eine mögliche Antwort gab. »Ja, doch ... Ist hübsch«, sagte er deshalb folgsam.
Becky strahlte überglücklich, zog dann aber sogleich ein zweifelndes Gesicht. »Gefällt’s dir besser so – oder so, wie ich es sonst trage?«
Auf Stephens Miene spiegelte sich Hilflosigkeit. Eine Hilflosigkeit, wie sie ihn immer öfter in Beckys Gegenwart überfiel. Vermutlich war er der Letzte gewesen, der bemerkt hatte, dass Becky in ihm nicht mehr nur den Bruder ihrer besten Freundin sah, irgendwann zwischen seinem letzten Jahr in Cheltenham und seiner Aufnahme in das College. Die Verliebtheit, mit der Becky ihn förmlich überschüttete, hatte er erst ungläubig zur Kenntnis genommen, dann gleichermaßen verlegen wie verwirrt. Bis die tagtägliche, knöcherne Angst, in Sandhurst zu versagen und die Erwartungen seines Vaters nicht zu erfüllen, ihn bis ins Mark durchdrungen und alles andere überlagert hatte. Erst jetzt, da der Rausch nachließ, dass er diese Erwartungen sogar noch übertroffen hatte, nun, da der Gedanke an den Dienst in einem Regiment mit jedem Tag seine Schrecken verlor, seit er Jeremy, Leonard, Simon und Royston dort an seiner Seite wusste, rückte Becky wieder in sein Blickfeld.
Wie sie so vor ihm stand, in diesem jadegrünen Kleid, das sich eng um ihre runden Hüften schmiegte und ihr üppiges Dekolleté zur Schau stellte, wirkte sie auf eine kernige, propere Art durchaus nicht reizlos. Er mochte Becky, weil sie ein feiner Kerl war, lustig und lebendig und nie ernsthaft beleidigt. Aber reichte das schon aus, um es Liebe zu nennen? Die spritzigen Kabbeleien zwischen Royston und Cecily, die selbstverständliche Verbundenheit von Leonard und Grace, die stille, verhalten knisternde Nähe zwischen Grace und Jeremy, schließlich die beinahe magnetische Kraft, die Simon und Ada immer stärker zueinander zog: Nichts davon ähnelte dem, was er für Becky empfand. Unfähig, seine Gefühle für sie zu benennen, konnte er sich wederdazu durchringen, Becky zurückzuweisen, noch, ihrem Drängen nachzugeben. Und ebenso unentschlossen fiel nun auch seine Antwort aus. »Sieht beides gleich gut aus. Wirklich!«
Innerlich atmete er auf, als just in diesem Augenblick Grace zu ihnen trat, sich bei ihm unterhakte, Becky um die Taille fasste und beide an sich zog.
»Wir treffen uns alle in ein paar Minuten draußen«, flüsterte Grace ihnen zu. »Es gibt wichtige Neuigkeiten!«
Becky riss die Augen auf. »Oh, was? Was?!«
Ada wäre am liebsten im Boden versunken, als Simon sie durch den Saal führte, um sie mit seinen Eltern bekannt zu machen. Dabei wusste sie, dass der Abschlussball die wohl beste Gelegenheit für
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