Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
sprang sie von seinem Schoß, nicht ohne vorher die Krallen auszufahren und sie durch den Hosenstoff in seine Oberschenkel zu bohren. Simon verbiss sich einen Schmerzenslaut. Mistvieh.
»Simon?«
»Ja?« Seine Hände, die die ganze Zeit über so wohltuend damit beschäftigt gewesen waren, durch das weiche Katzenfell zu fahren, hatten plötzlich nichts mehr zu tun, und weil er nicht wusste, was er damit anfangen sollten, klemmte er sie zwischen die Knie.
»Bitte entschuldige, dass wir heute Nachmittag so gelacht haben, Grace und ich. Es war nicht böse gemeint.«
Simons Wangen brannten, als Adas Worte die Erinnerung an jenen Moment im Fluss zurückbrachten, und noch mehr, als ihre Hand sich auf seinen Arm legte.
»Schon gut. War ja bestimmt auch ein recht lächerlicher Anblick«, entgegnete er mit einem schiefen Grinsen.
»Nein, das war es nicht.« Ada klang entrüstet und rutschte näher.
Simon hatte Mühe zu atmen. Er litt Folterqualen und wäre am liebsten aufgesprungen, verharrte aber wie gelähmt auf der Kante des Liegestuhls. »Es war«, nahm sie den Faden wieder auf, leiser, bedächtiger, geradezu verträumt. »Es war ... schön.«
Wider besseres Wissen sah er sie an. Im Sternenlicht glänzten ihre Augen, und ihre Lippen, voll und üppig und leicht geöffnet, schimmerten feucht. Und zu seinem eigenen Entsetzen spürte Simon, wie der letzte klägliche Rest an Willenskraft zerrann. Oh verflucht. Verflucht.
Ada schloss die Augen, als Simons Hände sich um ihr Gesicht legten und sie seinen Mund auf dem ihren fühlte. Er zögerte und hielt inne, als müsste er erst sichergehen, dass er nichts gegen ihren Willen tat, und küsste sie dann erneut. In Adas Bauch kribbelte es, und Schauer überliefen sie, während sein Mund den ihren umschmeichelte und seine Zungenspitze sanft die ihre anstupste. Ihre Hände ertasteten das, was ihre Augen am Nachmittag gesehen hatte, Simons feste Brust und die schmalen Flanken, die unter ihrer Berührung erbebten.
»Ada. Ach, Ada«, murmelte er an ihrer Wange, halb lachend, halb schluchzend, und Ada forderte den nächsten Kuss ein.
So still Shamley Green in dieser Nacht auch dalag, sanft umflossen von den leisen Klängen der sommerlichen Dunkelheit und geborgen in den Eichenwäldern, so fanden doch längst nicht alle unter den Dächern des Hauses ihren Weg in Morpheus’ Arme.
Das junge Blut im Haus war es, das in dieser Nacht keine Ruhe fand, in Wallung gebracht durch Sonne und Leben und die Liebe, rastlos durch einen unbestimmten Hunger, eine unstillbare Sehnsucht und den schweren, balsamischen Duft der Sommernacht. Während Ada und Simon unten im Garten in Küssen schwelgten und in dem Glück, einander gefunden zu haben, grübelte Stephen oben in seinem Zimmer, den Band mit Byrons Manfred aufgeschlagen auf der Brust, über sich selbst nach und über das, was Leben ihm bedeutete. Ob es einen Unterschied machte, was er sich davon versprach und was andere, allen voran sein Vater, davon erwarteten, und die Flut an Gedanken, an Wenn und Aber und sollte und hätte, die dabei über ihn hereinbrach,drohte ihn jeden Augenblick zu verschlingen. Wenn er nach Luft ringend aus diesem Mahlstrom auftauchte, erschien ihm Becky mit ihrer erdverbundenen Weiblichkeit wie ein rettender Fels in der Strömung. An dem er jedoch keinen Halt fand.
Mit bald neunzehn noch ungeküsst, kannte Stephen nur die Erregung des Körpers, die mechanische Erleichterung und das klebrige Beschämtsein danach. Beckys Rundungen, ihr lachender Mund und ihre lockende Stimme führten ihn beständig in Versuchung, aber noch mehr erschreckte ihn die Vorstellung, in Beckys Üppigkeit verloren zu gehen, sich nachgerade aufzulösen, und erneut zog ihn ein Sog aus Wenn und Aber in die Tiefe. Zuflucht fand er in Träumereien, in denen er seine Tage und halbe Nächte damit zubrachte, bei Lampenschein in einer Bibliothek, in einer Atmosphäre aus Stille und poliertem Holz und Leder und bedrucktem Papier, den Zauber der Poesie, die Magie des Romans zu ergründen und zu verstehen versuchte. Nirgendwo fand er mehr Trost, als wenn er sich durch dieses Phantasiereich treiben ließ, Nacht für Nacht.
Seine ältere Schwester indes hatte sich in ihrem Bett auf die Seite gerollt und hielt den vom Alter gezeichneten Baudelaire in den Armen. Zärtlich fuhr sie die Blumenranken, die Narben und Schrammen entlang, als haftete dem Leder noch etwas von Jeremy an, eine Spur seiner Berührung, bevor er es ihr gegeben hatte. Grace brauchte
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