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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Blut vermachte. Von dem allerdings mittlerweile kaum mehr als ein Tröpfchen übrig geblieben sein dürfte. Roddies und meines zumindest ist von absolut ordinärem Rot, wie wir uns in sehr – sehr! – jungen Jahren mithilfe eines Taschenmessers selbst überzeugten.« Seine Bemerkung rief leises Gelächter hervor. »An dieser Stelle unserer Führung durch das Haus hätte ich euch zu gerne die blutbefleckte Halskrause präsentiert, die Thomas More bei seiner Hinrichtung getragen haben soll. Oder aber den zu einem Granatapfel geschliffenen Diamanten aus der Schatulle von Maria Stuart. Doch leider«, er hob bedauernd die Schultern und zog ein unglückliches Gesicht, »leider sehe ich mich außerstande dazu. Beides gilt seit etwa einhundert Jahren als verschollen. Einstweilen muss ich euch bitten, hiermit vorliebzunehmen.« Er öffnete eine der massiven Türen und winkte die anderen hindurch. » Et voilà – das für seine Pracht berühmte gelbe Schlafzimmer von Estreham House!«
    Ein vielstimmiges Raunen war zu hören, als sie den großen Raum betraten.
    Auf den vanillegelben Seidentapeten zeigten Wandbehänge in aufwändiger Stickerei Szenen von der Schifferei auf der Themse, von der Jagd, der Aussaat und der Ernte, und ihre Gewürzfarben wiederholten sich in den von Watteau gemalten Schäferstücken und Gartenfesten und im Muster der Teppiche. Weiß war die Stuckdecke, golden die Leisten und die Pilaster entlang den Wänden, und um den schneehellen Marmorkamin tummelten sich wohlgenährte Putten. An das Gelb der Schlüsselblumen im Frühling erinnerten die Polster der Sessel, und blassgelb wie edle Teerosen war der Satin des riesigen Himmelbetts, das Prunkstück des Raumes.
    »Ich hätte einem von euch natürlich zu gern angeboten, hier zu nächtigen«, verkündete Royston, als sich die erste Bewunderung gelegt hatte, »anstatt euch in den spartanischen Gästezimmern unterzubringen.« Die spöttischen Haha -Rufe quittierte Royston mit einem Grinsen. »Ich fürchte allerdings, ihr hättet mir diese freundliche Geste am Ende womöglich übel genommen! Schließlich ist es nicht nach jedermanns Geschmack, mitten in der Nacht von einem schlecht gelaunten Geist aus dem Schlaf gerissen zu werden.«
    Ada sah ihn zweifelnd an. »Du willst uns doch nicht erzählen, dass bei euch ein Gespenst sein Unwesen treibt?«
    »Eines?« Roystons Brauen hoben sich. »Meine liebe Ads ... Vermitteln wir Ashcombes etwa den Eindruck, als könnten wir uns nur ein einziges Spukgespenst leisten? Neben der erwähnten Dame in Schwarz haben wir eine weitere Dame in weißem Gewand vorzuweisen, die in Vollmondnächten ihren Hund im Garten ausführt – und das buchstäblich kopflos. Und dort drüben ...« Sie folgten ihm zum Fenster, wo er über den von Gästen belebten Rasen hinweg auf den Rand eines Wäldchens aus Kastanien und Walnussbäumen deutete. »Die beiden Schornsteine, die gerade noch aus den Baumwipfeln herausschauen – das ist das ehemalige Gärtnerhaus. Schauplatz einer tragischen Liebesgeschichte, die mit einem Mord und einem Selbstmord endete!«
    »Wo?« Ada stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte angestrengt hinaus. »Ich seh nichts!«
    »Simon – mit deiner Erlaubnis ...« Royston trat hinter Ada, umfasste mit beiden Händen ihre Taille und hob sie hoch, als wöge sie nicht mehr als ein Federbett, dass sie aufquiekte, mit den Füßen zappelte und sich auf seinen Unterarmen abstützte. »Siehst du’s jetzt? Ein graues Schindeldach?«
    »Ja«, rief Ada, halb erstickt vor Lachen. »Ja, jetzt seh ich’s!«
    »Gar schauerlich, schauerlich soll es dort des Nachts spuken, uaaahhhh«, raunte Royston ihr mit Grabesstimme zu. Ada kicherte, und behutsam setzte er sie wieder ab. »Weshalb dasHaus auch seit Jahrzehnten nur noch als Rumpelkammer genutzt wird. – Weiter geht’s, die Ladys und Gentlemen! Ich muss euch ja schließlich glaubhaft machen, dass Sis in passable Verhältnisse einheiratet ...«
    Hinter Ada verklangen die Schritte und Stimmen der anderen, während sie weiter unverwandt aus dem Fenster starrte und nachdenklich auf ihrer Unterlippe knabberte.
    »Ada.«
    Sie wandte sich um, und ein Leuchten glitt über ihr Gesicht. Simon nahm ihre Hand und zog sie vom Fenster fort; im Schutz eines der Vorhänge aus maisgelber Bouretteseide küssten sie sich, bis sie nach Atem rangen, und Hand in Hand liefen sie los, um zu den anderen aufzuschließen.
    Es war eine heiße Nacht auf Estreham House. Nach dem fürstlichen Dinner und

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