Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
Jeremys Stimme klang mit einem Mal heiser. »Eigentlich habe ich kein Recht, jetzt so vor dir zu stehen. Trotzdem werde ich alles tun, was ich kann, umso bald wie möglich vor deinen Vater zu treten und in aller Form um deine Hand anzuhalten. So lange – so lange kann ich dich nur bitten, auf mich zu warten. Und dich fragen, ob du mir versprechen willst, eines Tages meine Frau zu werden.«
Wie gut kennst du Jeremy wirklich?, blitzte es in Grace’ Verstand auf. Gut genug, Len. Gut genug.
Ein gewaltiges Gefühl des Glücks schäumte in Grace auf und trieb ihr neue Tränen in die Augen. Sie musste mehrmals schlucken, bevor sie antworten konnte. »Ja, Jeremy. Das verspreche ich dir von ganzem Herzen. Wie lange es auch dauern mag.«
Der Regen trommelte auf das Dach des alten Gärtnerhauses, plitschte irgendwo durch eine undichte Stelle zwischen den altersrußigen, mit dicken Staubschnüren behangenen Holzbalken hindurch. Bläuliche Lichtflecken flackerten dann und wann in den Raum hinein, und beinahe schon behaglich grummelte vor dem Fenster der Donner des nachlassenden Gewitters.
Es widerstrebte Simon, eine der alten und nach faulendem Laub riechenden Decken über Ada zu breiten. Aber er hatte nichts anderes, und Ada fror; zumindest zitterte sie, und ihre Zähne schlugen aufeinander. Sorgsam entfaltete er den abgenutzten Stoff, zog ihn über ihren schlanken Leib und bettete ihren Kopf in seine Armbeuge. »Besser?«
Sie nickte, die Lider geschlossen, und schmiegte sich enger an ihn. Verwundert und dankbar betrachtete er sie, fuhr mit dem Finger die Konturen ihres Gesichts nach, so als müsste er sich vergewissern, dass sie wirklich war. Er war überwältigt, nicht mehr nur die rauschhafte Erfüllung körperlichen Begehrens erlebt zu haben, sondern tief in seiner Seele berührt zu sein. Wie von einer Engelsschwinge gestreift.
Ada erriet, dass sie sich schuldig fühlen müsste oder voller Scham, aber sie empfand nichts dergleichen. Nicht einmal die Nässe zwischen ihren Beinen, ihr Blut und Simons Samen, war ihr unangenehm. Aufgewühlt lauschte sie dem Pulsieren in ihrem Unterleib, dieser seltsamen, köstlichen Vermengung von Brennen und wohliger Wärme und einer Leere, die sie noch nie zuvor wahrgenommen hatte und die zugleich Sattheit war. Und als sie ihre Wange an Simons Brust, an seine warme Haut schmiegte, seinen Herzschlag mehr fühlte denn hörte, dachte sie, dass sie noch nie so glücklich war wie jetzt, in diesem Augenblick.
Ihre Lider flatterten, hoben sich. Sie zog einen Arm unter der Decke hervor und nahm Simons Hand, hauchte einen Kuss hinein und spielte mit seinen Fingern, zeichnete die Linien in seiner Handfläche nach, faltete die ihre schließlich in die seine.
»Jetzt gehören wir für immer zusammen«, flüsterte sie.
Simon blinzelte, um die Tränen zurückzudrängen, die hinter seinen Augäpfeln brannten. »Ja, Ada.« Er drückte sie fest an sich und legte seine Lippen auf ihre Wange. »Und nichts und niemand wird uns jemals mehr trennen.«
16
Keiner seiner beiden Töchter nahm Colonel Norbury das Märchen ab, sie hätten sich im hereinbrechenden Gewitter verloren und getrennt voneinander irgendwo untergestellt, bis der Regen aufgehört hatte, aber es gab für ihn auch keine greifbaren Anzeichen, dass es sich womöglich anders zugetragen hatte. Es spielte ohnehin keine Rolle mehr.
Am anderen Morgen fuhr Ben unter einem grauen, regenlastigen Himmel Simon und Jeremy nach Guildford, wo sie den Zug der London & Southwestern Railway nahmen, der sie nach Norden brachte. Es war eine schweigsame Fahrt, während der jeder von beiden seinen Gedanken nachhing und aus dem Fenster auf das beschauliche vorbeizuckelnde Surrey hinausschaute.
Bis Simon in Woking umstieg und nach Westen weiterfuhr, durch das saftig grüne, malerische Somerset Richtung Yeovil, und von dort weiter mit einem Wagen in sein Elternhaus von Bellingham Court nahe des Weilers Ilminster. Jeremy indes blieb bis zur Endstation von Waterloo im Zug sitzen, durchquerte das von Menschenstimmen und Pferdehufen und Wagenrädern lärmende, das geschäftige, von Ruß und Dunst durchzogene Steinlabyrinth Londons nach King’s Cross und fuhr mit der Eisenbahn nach Norden, durch die Ebene um Peterborough und durch die marschigen Fens hinauf nach Lincoln zu seiner Mutter.
Viel zu schnell waren die letzten Tage vergangen, die letzten Tage in ihrem Leben als behütete Söhne und Brüder, und doch ersehnte jeder von ihnen den einen Tag, an dem sie
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