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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Daher ist es nicht verwunderlich, dass wir hier nicht unbedingt wohlgelitten sind und dass wir als Besatzer empfunden werden, die wir im Grunde ja auch sind.
    Nur kurz zögerte er, in seinem Brief den Zwischenfall zu schildern, dessen Zeuge er gestern geworden war. Denn wem konnte er sich sonst anvertrauen, wenn nicht Grace?
    Gestern waren wir auf Patrouillengang durch die Stadt, Lt. Trafford, ich und noch ein paar Männer. Aus den Überresten eines zerstörten Hauses heraus trafen uns Geschosse – Steine, wie sich erst danach herausstellte, geworfen von einigen Halbwüchsigen. Zwei unserer Soldaten eröffneten in einem Reflex das Feuer ...
    Die Distanz, die Feder und Papier schufen, machte es ihm leichter, Einblicke zuzulassen in das, was ihn beschäftigte. Ihm behagte die Vorstellung, Grace säße neben ihm, sähe ihm über die Schulter und läse jedes seiner Worte still mit.
    Dieser ägyptische Junge war noch ein halbes Kind, Grace, gewiss nicht älter als Tommy. Und doch weiß ich, dass hinter jeder Ecke, jeder Mauer und jedem Fenster ein Heckenschütze lauern könnte und dass uns vielleicht nicht die Zeit für einen zweiten Blick oder ein kurzes Nachdenken bleibt, obwohl wir die Stadt ständig nach Aufständischen durchkämmen ...
    Nachdem er die letzten Zeilen geschrieben und seinen Namen daruntergesetzt hatte, faltete er den Brief akkurat zusammen und schob ihn in einen Umschlag, den er mit Grace’ Adresse versah und den er morgen früh dem Postmeister übergeben würde,bevor er aufstand, den Rimbaud mit den kostbaren Briefen in der einen, die Laterne in der anderen Hand, und langsam zur Villa zurückging.
    »Second Lieutenant Danvers!«, riss ein wohlvertrauter Bass ihn aus seinen Gedanken. Royston saß mit den anderen an einem Tisch, den sie vor die Hauswand unter eines der Lichtvierecke gerückt hatten, und winkte ihn heran. »Hierher zum Rapport!« Als Jeremy zu ihnen trat, deutete Royston auf die Flasche und die Gläser. »Unser geschätzter Second Lieutenant Hainsworth gibt heute einen aus! Ich hab dir ein Plätzchen freigehalten.« Er tätschelte die Lehne des Stuhls neben sich.
    »Kommt wie gerufen.« Jeremy stellte die Laterne neben sich auf den Boden, legte das Buch vor sich auf den Tisch, nahm das gefüllte Glas entgegen und prostete Leonard zu. »Danke.«
    »Ich hab gerade gesagt, dass ich mir mein Dasein als Offizier so gern weiter gefallen lasse.« Royston trank einen Schluck und lehnte sich dann behaglich zurück. »Patrouillengänge durch die Straßen, Erkundungsritte bis vor die Stadt und ansonsten keine allzu große Aufregung.« Er schnaufte zufrieden auf.
    Leonard beugte sich vor, um sich nachzuschenken. »Abgesehen vom Ritual des täglichen Duells unserer Artillerie mit den Aufständischen. Aber das dient offenbar nur dazu, der jeweils anderen Seite Bescheid zu geben: Hört her, wir sind noch da! «
    »So verdienen wir uns aber keine Sporen«, murmelte Simon, die Wange in die Hand gestützt, und ließ seinen Scotch im Glas kreisen. Seufzend hob er den Kopf. »Hirnverbrannt irgendwie, hier nur Wachtposten zu sein.«
    »Uns bleibt erst mal auch nichts anderes übrig«, entgegnete Leonard lachend. »Derzeit hängen wir hier so lange fest, bis wir ausgespäht haben, wo überall zwischen Alexandria und Cairo sich Arabis Männer verschanzt halten. Erst dann können wir losschlagen und gen Cairo aufbrechen.«
    »Nicht nur das«, ergänzte Jeremy. »Es ist ein genialer Schachzug von Wolseley, die Armee zu teilen. Während wir mit den anderen Regimentern hier vor Ort so deutlich sichtbar die Stellung halten, richten die ägyptischen Soldaten ihr Augenmerk ganz auf uns. Und Wolseley kann sich in dieser Zeit mit dem größeren Teil der Truppen vom Wasser her über Suez«, sein Zeigefinger beschrieb auf der Tischplatte die geschwungene Küstenlinie von Alexandria bis Port Said und zeichnete in einer schnurgeraden Linie den Kanal nach, »von hinten an die Aufständischen heranpirschen. Im Idealfall können wir sie so von beiden Seiten in die Zange nehmen.«
    »Habt ihr euch«, ließ Stephen sich über seinem Rest Scotch vernehmen, »eigentlich auch schon gefragt, warum wir überhaupt hier sind? Was um alles in der Welt England mit einem meuternden ägyptischen Offizier zu tun hat?« Er presste den Rand des Glases in einer nachdenklichen Geste gegen seine Unterlippe.
    Die Beine übereinandergeschlagen und die Arme vor der Brust verschränkt, ließ Leonard sich in seinem Stuhl zurückfallen. »Wir sind

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