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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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denn obwohl die Sonne tagsüber von einem wolkenlosen Himmel brannte, waren die Nächte frisch.
    Vor einer Ansammlung von Steinblöcken blieb er stehen und legte seine Wolldecke einmal zusammengefaltet auf den Boden, streckte sich darauf aus und klemmte den Rimbaud zwischen seinen Hinterkopf und den vordersten, den niedrigsten der Steinquader. Eine Weile betrachtete er regungslos die Sterne, die hier so viel größer wirkten als zuhause, viel näher und zahlreicher, wie in Splitter zerborstenes Glas auf schwerem dunklen Samt.
    Finster zeichneten sich die rauen Umrisse der Pyramiden vor dem nachtblauen Himmel ab. Es schien, als stützten sie mit der Spitze das Himmelsgewölbe, trügen seine Last mit unerschütterlicher Gelassenheit, und das seit Ewigkeiten. Jeremy brauchte nur den Kopf zu drehen, um auf das monumentale Hinterhaupt der Sphinx zu blicken, die aus toten Augen über das Lager hinweg auf Cairo starrte, ihr zerklüftetes Antlitz nicht feindselig, nicht freundlich, sondern unergründlich und vielsagend und doch leer.
    Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch in die Nacht. Mittlerweile rauchten sie alle, und das nicht gerade wenig, selbst Simon und Leonard, sogar Royston, der sich früher nur dann und wann eine Zigarre genehmigt hatte. Eine Möglichkeit, die vielen Stunden sinnlosen Wartens durchzustehen und die ständige Alarmbereitschaft auszuhalten.
    Zwischen den einzelnen Zügen ging Jeremy die Worte und Wendungen des Arabischen durch, die er aufgeschnappt hatte. Shukran . Danke. Sahah al-Khair . Guten Morgen. Asif. Entschuldigung. Imta? Wann? Yemin . Rechts. Shemal . Links. Aiwa. Ja. La . Nein.
    Instinktiv spannte er die Muskeln an, als Schritte sich näherten, überlaut in der Stille der Nacht, knirschend auf dem lockeren Gestein und schleifend im Sand. Die Anspannung löste sich wieder, als er den unschlüssig wirkenden Schlendergang erkannte.
    »Hey«, sagte er ins Dunkel hinein.
    »Hey«, echote Stephen und blieb zögernd stehen. »Magst du lieber allein sein?«
    »Komm ruhig her.« Er machte Anstalten, aufzustehen, um die Decke auszubreiten, damit Stephen sich zu ihm setzen konnte, doch dieser wehrte ab.
    »Lass gut sein. Ich setz mich dorthin.« Breitbeinig ließ Stephen sich auf einem der vorderen Steinblöcke nieder.
    »Geht’s dir wieder einigermaßen?« Jeremy drückte seinen Zigarettenstummel im Sand aus und lehnte sich dann wieder mit dem Rücken gegen den Stein.
    »Frag mich das bitte, wenn ich das erste Mal wieder an einer Kippe gezogen hab.« Ein Streichholz ratschte, und gleich darauf glomm ein roter Glutpunkt auf, verbreitete den scharfen Geruch von Tabakrauch.
    »Und?«, fragte Jeremy belustigt nach einigen tiefen Atemzügen Stephens.
    »Na ja«, machte Stephen und betastete vorsichtig seine Magengegend. »Rumort noch etwas, aber ich denke, ich hab’s so weit überstanden. – Dir hat’s ja nicht allzu viel ausgemacht.«
    Jeremy gab ein kurzes Auflachen von sich. »Ich bin ein zäher Knochen.« Wie mein Vater.
    Sie verfielen in Schweigen, bis Stephen, den Kopf in den Nacken gelegt, sich irgendwann leise vernehmen ließ: »Da fühlt man sich so winzig. So unbedeutend. Als ob das eigene Leben nicht mehr zählen würde als das einer Ameise.«
    »Mhm«, stimmte Jeremy ihm zu und sah ebenfalls zum Sternenhimmel hinauf. »Im Grunde ist das auch so. Gemessen an der ganzen Welt, der ganzen Menschheit bedeutet ein einzelnes Leben wirklich nichts. Und trotzdem«, er fuhr sich mit den Fingerknöcheln unter dem Kinn entlang, »trotzdem hängen wir daran und versuchen, das Beste daraus zu machen.«
    Nach einer Weile hörte er Stephen flüstern: »Kann ich dich was fragen?«
    »Klar. Schieß los.«
    Stephen schwieg. Männer sprachen nicht über solche Dinge. Männer, Offiziere sprachen derb und zotig über Frauen, die sie besessen hatten, führten mit verklärter Ehrfurcht oder selbstverständlicher Nüchternheit die Namen der Damen im Mund, die zu Hause auf sie warteten; dazwischen gab es nichts. Royston erwähnte Cecily stets mit einer Mischung aus Frotzelei und Zärtlichkeit, Simon schwärmte mit einer sehnsüchtigen Verträumtheit von Ada, und sie machten Stephen damit deutlich, dass sie die Zweifel, die Fragen und das Zaudern nicht kannten, die ihn umtrieben, und von Leonard wusste er, dass ihm derlei Gemütsregungen grundsätzlich fremd waren. Aber Jeremy – Jeremy verstand ihn vielleicht, würde ihm zumindest das Gefühl geben, dass er sich für derlei unmännliche

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