Jenseits des Spiegels
vorbei. Und trotz des Nachteils, dass ich nur zwei Beine besaß, schaffte ich es mit den anderen mitzuhalten.
Ich blieb hinter Van, Veith an meiner Seite, und wurde allein von dem Gedanken angetrieben, nicht zu spät zu kommen. Wir mussten es einfach rechtzeitig schaffen. Pal war so nahe, ich musste ihn retten, ich
würde
ihn retten.
Das nächste Brüllen drang schon lauter an meine Ohren. Der Geruch in der Luft wurde immer schlimmer, und zwang mich durch den Mund zu atmen, damit ich mich nicht ins nächste Gebüsch übergab. Verbranntes Fell, gebratenes Fleisch, und Ausdünstungen von Exkrementen hingen wie eine dicke Wand in der Luft. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was uns erwartete.
Und dort ist Pal. Oh Gott, bitte lass nicht zu, dass wir zu spät kommen.
Ich setzte über eine freiliegende Wurzel hinweg, kam geschmeidig auf dem Boden auf. Neben mir setzte Van auf, und …
„Talita!“
Von Veiths Ruf überrascht, blieb ich wie angewurzelt stehen, und krachte den Bruchteil einer Sekunde mit dem Rücken auf den Boden, als ich von etwas großem umgerissen wurde. Mein Kopf schlug gegen einen Baum, und hinter meinen Augen explodierte ein ganzes Universum voller Sterne.
Dunst vernebelte mir das Hirn, als ich den ersten Gedanken fasste. War ich bewusstlos gewesen? Ich wusste es beim besten Willen nicht zu sagen. Das einzige was ich mitbekam, waren die Geräusche um mich herum, die wie durch Watte in mein angeschlagenes Hirn sickerten. Kurren und Rufe, ein Schmerzensschrei. Auf mir lag etwas schweres, das mir auf die Lunge drückte, und mir das atmen erschwerte. Mit meinen Augen stimmte etwas nicht, ich konnte nicht richtig fokussieren. Was war passiert?
Erst nach mehrmaligem Zwinkern konnte ich wenigstens wieder halbwegs die Schatten um mich herum erkennen. Etwas großes, auf vier Beinen, flog über mich, setzte auf dem Boden auf, und war sofort wieder aus meinem begrenztem Sichtfeld verschwunden. Ein Lykaner in Wolfsgestalt.
Der Schmerz in meinem Kopf erinnerte mich an den Tag auf Fangs Dachboden, besonders als ich die Last, die mich halb erdrückte, von mir herunter schob, und versuchte auf die Beine zu kommen. Das Hirn in meinem Kopf rutschte von einer Seite auf die andere, und stieß dabei jedes Mal an die Schädelwand. So jedenfalls fühlte es sich an. Ich schaffte es einen halben Schritt zu wanken, bevor die Beine unter mir nachgaben, und mein Magen das wenige Essen, das ich in Erions heimischer Unterkunft runter gewürgt hatte, der Welt zurückgab. Dann lag ich erst mal keuchend auf dem Boden, die Nase im feuchten Laub, sog japsend die Luft in meine Lungen, und versuchte mir einen Reim auf die Geschehnisse um mich herum zu machen. Ich hatte keine Ahnung, was hier los war, und mein Kopf war für klare Gedanken gerade nicht verfügbar.
Ich atmete noch ein paar Mal tief ein, schluckte mit wunder Kehle, und schlug die Augen auf …
Oh. Mein. Gott!
Ich war mir nicht sicher, ob ich geschrien hatte, oder es ein anderer war, denn ich nahm nichts mehr wahr, außer Vans Blick. Vans leeren Blick. Er war tot.
Die Augen hatten noch einen überraschten Ausdruck, seine Kehle war … nun ja, es war nicht mehr viel von ihr übrig. Wo sie sich befinden sollte, war nichts weiter als ein großer, roter Krater. Später hatte man mir erzählt, dass Julica aus dem Unterholz geschossen war, und sich sofort auf ihn gestürzt hatte. Sie hatte ihn mit einem einzigen Biss getötet, und mich nur nicht erwischt, weil er mich bei seinem Fall unter sich begraben hatte. Dann hatte sie sich sofort auf den nächsten unserer Meute gestürzt, zusammen mit einem Duzend anderer Wölfe, die Erion unter seine Kontrolle gebracht hatte.
Aber in diesem Moment, in dem ich Vans tote Augen sah, hatte ich keine Ahnung, was um mich herum los war. Kämpfende Wölfe zerfleischten sich gegenseitig. Freunde, Familie. Zähne und Klauen. Es war das reinste Blutbad. Ich sah Veith in Menschengestalt, wie er einen Wolf an der Rute packte, um ihn von einer Frau runterzuziehen, deren Arm schon bis auf den Knochen zerbissen war. Sah Najat als schwarzen Wolf mit weißem Ohr, wie er sich auf den Rücken eines Einzelläufers stürzte, und ihm den Nacken aufriss. Kovu war in dem Getümmel untergegangen. So sehr ich mich bemühte, ich konnte ihn nicht finden. Und suchen konnte ich ihn auch nicht, da mir bei jeder Bewegung sofort die Galle in den Mund schoss.
Gehirnerschütterung
, fuhr es mir durch den Kopf. Na toll, das war genau das, was mir jetzt noch
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