Jenseits des Spiegels
aus.
Wir waren umgeben von dichtem Wald, aber die Bäume sahen nicht mehr so aus, wie die vertrauten Riesen aus Priscas Revier. Diese hier waren kleiner, schmächtiger. Dünner eben. Und doch erinnerten sie mich an die Wolfsbäume.
Der Samen dem sie entsprungen sind, liegt wohl noch nicht so lange unter der Erde, wie der, der in Veiths Zuhause die Bäume wachsen lässt.
Bei dem Gedanken bekam ich eine Gänsehaut. Ich wollte gar nicht so genau darüber nachdenken, was genau das für ein Samen war, dafür hatte ich Pals Worte noch zu deutlich in den Ohren.
„Wenn ein Lykaner stirbt, wird er in diesem Wald gebracht. Wir vergraben ihm, geben ihn und seine Magie der Erde zurück, und aus seinen sterblichen Überresten wird ein Wolfsbaum, der uns ein Zuhause und Schutz bietet.“
„Soll das heißen, ich latsche hier über einen Friedhof?“
„Nein, das hier ist kein Friedhof. Auf einem Friedhof gibt es kein Leben.“
Es stimmte, eine Gräberanlage war ein toter Ort, doch hier pulsierte das Leben. Alles war grün, in den Ästen der Bäume und Sträucher hockten die Kreaturen dieses Waldes. Vögel sangen ihre Lieder. Alles wirkte so friedvoll, als wäre die ganze Angelegenheit mit Erion nur ein weit entfernter Alptraum, der mich hier nicht berühren konnte.
Aus seinen sterblichen Überresten wird ein Wolfsbaum, der uns ein Zuhause und Schutz bietet.
„Na mal sehen, ob ihr das mit dem Schutz auch jetzt hinbekommt“, murmelte ich zu den nächstgelegenen Baum, und kam mir dabei fast überhaupt nicht dämlich vor.
„Hast du was gesagt?“, fragte Kovu, und schlug zeitgleich mit mir die Wagentür zu.
„Was? Nein, schon gut.“ Ich umrundete den Wagen, und eilte mit dem Kleinen zu Veith und Tyge, die es wohl für Zeitverschwendung hielten, auf uns zu warten. Ich konnte sie ja verstehen, um rumzutrödeln war nun wirklich nicht der passende Augenblick. So folgte ich den angespannten Männern tiefer in einen Abschnitt des Waldes, denn ich noch nie in meinem Leben betreten hatte.
Übers Vox hatte Tyge sich mehr als einmal mit Prisca kurzgeschlossen, so wusste ich bereits, dass die beiden Rudel die wir angefordert hatten, unserem Ruf gefolgt waren, und so wussten wir auch, wohin wir gehen mussten. Nicht lange nach unserem Start hörte ich bereits die ersten leisen Stimmen an mein Ohr dringen. Unsere Anspannung wuchs, und wurde auch nicht besser, als wir zwischen den Bäumen im Schatten eines ausladenden Himbeerstrauchs, einen dunkelbraunen Wolf entdeckten, der uns misstrauisch beäugte. Wenigstens ließ er uns ungehindert passieren, und so kamen wir schon bald im Zentrum der Stimmen an.
Überall standen, saßen und lagen Wölfe und Menschen herum. Wenige von ihnen kannte ich noch von der Rudelversammlung vor ein paar Tagen – darunter auch Najat und Sinssi –, aber die meisten von ihnen waren mir fremd. Ein großer, Teddybär ähnlicher Mann hielt eine Landkarte in der Hand, und zeigte den anderen etwas darauf. Viele hielten sich am Rand, nur ein paar Wenige hatten sich in der Mitte zusammengefunden, und auf diese Leutchen bewegten wir uns nun zielsicher zu – naja, die anderen drei taten das, ich lief ihnen einfach nur immer schön artig hinterher, und versuchte die argwöhnischen Blicke der anderen zu ignorieren. Auch Najat stand bei der kleinen Gruppe, und nickte uns zu, als wir an sie herantraten.
Eine Frau mit feurig, rotem Haar, unterbrach sich mitten im Gespräch, und drehte sich zu uns herum. Der Reihe nach musterte sie uns alle, blieb kurz an Kovu hängen, und landete am Ende auf mir. „Ein Welpe und eine Katze.“ Ihr Blick wanderte an mir runter, und dann wieder hoch, und blieb dann auf meinem Gesicht hängen, das nach wie vor eine Mischung aus Katze und Mensch war. „Hat sich dein Rudel einen weiteren Mäusefänger zugelegt? Die Ratten bei euch müssen ja riesig sein.“
„Zeig ein wenig mehr Respekt“, knurrte Veith. „ Ohne Talita würde keiner von uns hier stehen. Wir würden immer noch im Dunkel tappen. Du solltest ihr dankbar sein, und sie nicht verhöhnen!“
Hatte Veith mich gerade wirklich in Schutz genommen? Diesen Tag musste ich mir dringend im Kalender rot anstreichen – das war ein Grund zum Feiern!
„Versuchst du mir etwa gerade Vorschriften zu machen?“, knurrte sie zurück.
Oh oh, Lobrede hin oder her, so hatte ich mir das Zusammentreffen nicht vorgestellt. Meinungsverschiedenheiten konnten wir jetzt gar nicht gebrauchen. „Hey“, rief ich, ein Schuss ins Blaue, der auch
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