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Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Blixen
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eine lange, bedeutsame, von Verantwortung erfüllte Pause denken. Alle Schwarzen sind Meister in der Kunst der Pause und geben damit einem Gespräch perspektivische Tiefe. Kamante machte nun eine solche lange Pause und sagte dann: »Ich glaube es nicht.« Ich hatte sonst niemanden, mit dem ich über mein Buch sprechen konnte; ich legte also mein Papier beiseite und fragte ihn, warum er das nicht glaube. Da merkte ich, daß er das Gespräch im voraus durchdacht und sich darauf vorbereitet hatte. Er hatte sich mit dem Rücken zur »Odyssee« hingestellt und legte nun den Band auf den Tisch. »Schau, Msabu«, sagte er, »das ist ein gutes Buch. Es hängt vom einen Ende bis zum anderen fest zusammen. Auch wenn man es hochhebt und schüttelt, geht es nicht kaputt. Der Mann, der das geschrieben hat, ist sehr klug. Aber das, was du schreibst«, fuhr er halb ärgerlich und halb freundschaftlich mitleidig fort, »das ist teils hier und teils da. Wenn die Leute mal vergessen, die Türe zuzumachen, dann fliegt es herum und fällt sogar auf den Boden, und du wirst böse. Das wird kein gutes Buch.« Ich erklärte ihm, daß es in Europa Leute gebe, die es richtig zusammensetzen könnten. »Wird dann dein Buch so schwer sein wie dieses?« fragte Kamante, die »Odyssee« in der Hand wiegend. »Nein«, sagte ich, »so schwer nicht, aber es gibt eben auch Bücher, die leichter sind.« – »Und auch so hart?« fragte er. Ich sagte, es sei recht kostspielig, ein Buch so hart zu machen. Er stand eine Weile still da und drückte dann seine wiedererwachte Hoffnung für mein Buch und vielleicht auch die Reue über seine Zweifel aus, indem er die am Boden verstreuten Blätter aufhob und sie auf den Tisch legte. Er ging aber noch immer nicht, blieb wartend am Tisch stehen und fragte dann ernsthaft: »Msabu, was ist in Büchern drin?« Als Beispiel erzählte ich ihm aus der »Odyssee« die Geschichte von dem Helden und Polyphem und wie Odysseus sich Niemand genannt und Polyphems Auge ausgestochen habe und festgeklammert am Bauch eines Widders entwischt sei. Kamante hörte mit großem Interesse zu und meinte, der Widder müsse wohl von der gleichen Rasse gewesen sein wie die Schafe von Herrn Long in Elmentaita, die er bei einer Viehschau in Nairobi gesehen hatte. Dann kam er auf Polyphem zurück und fragte mich, ob er schwarz gewesen sei wie die Kikuju. Als ich verneinte, wollte er wissen, ob Odysseus zu meinem Stamm oder meiner Familie gehört habe. »Wie sprach er«, fragte er, »das Wort Niemand in seiner Sprache aus? Sag es.« – »Er sagte Udeis«, sagte ich. »Er nannte sich Udeis, das hieß in seiner Sprache Niemand.«
    »Mußt du auch von derselben Sache schreiben?« fragte er mich. »Nein«, sagte ich, »man kann schreiben, was man will. Ich möchte von dir schreiben.« Kamante, der im Laufe der Unterhaltung aufgeschlossen geworden war, zog sich plötzlich wieder in sich zurück; er sah an sich hinunter und fragte mich mit leiser Stimme, welchen Teil von ihm ich beschreiben wollte. »Ich möchte von der Zeit schreiben, wo du krank warst und mit den Schafen in die Steppe gingst«, sagte ich. »Was hast du damals gedacht?« Seine Augen wanderten durch das Zimmer hinauf und hinab, und schließlich sagte er unsicher: »Sijui – ich weiß nicht.« – »Hattest du Angst?« fragte ich ihn. »Ja«, sagte er nach einer Pause, »alle Buben in der Steppe haben manchmal Angst.« – »Wovor hattest du Angst?« fragte ich. Kamante schwieg eine Weile, dann schaute er mich an, und über sein Gesicht breitete sich das feine verschmitzte Lächeln, das ich an ihm so gut kannte. Vielleicht fand er, die Unterhaltung habe lange genug gedauert. »Vor Udeis«, sagte er, »die Buben in der Steppe haben Angst vor Udeis.«
    Nach einigen Tagen hörte ich, wie Kamante den anderen Hausboys auseinandersetzte, das Buch, das ich schreibe, könne in Europa zusammengefügt werden, und mit ungeheurem Kostenaufwand könne es auch so hart gemacht werden wie die »Odyssee«. Allerdings glaube er nicht, daß es auch blau gemacht werden könne.
     
    Kamante besaß eine Gabe, die ihm in meinem Hause gut zustatten kam. Er konnte, scheint mir, weinen, wann er wollte. Wenn ich ihn einmal ernstlich schalt, stellte er sich aufrecht vor mich hin und sah mir ins Gesicht mit dem Ausdruck tiefer, sorgenvoller Traurigkeit, den die Mienen der Schwarzen unversehens annehmen können; dann schwollen seine Augen an und füllten sich mit schweren Tränen, die langsam einzeln

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