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Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Blixen
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rechtzeitig, grad wenn die Sonne aufging, bei uns zu sein, fuhren sie so früh morgens aus, daß die Scheinwerfer ihrer Wagen noch leuchteten, wenn sie in meinen Auffahrtsweg einbogen.
    Wenn man so in der feuchten Dämmerung stand und zu den vergoldeten Höhen und in den klaren Himmel schaute, bekam man ein Gefühl, als ginge man in Wirklichkeit auf dem Grunde des Meeres, mitten in der Strömung, und schaue zum Spiegel des Ozeans empor.
    Ein Vogel fing zu singen an, und dann hörte ich, ein Stück weit entfernt im Walde, das Klingen eines Glöckchens. Ja, es war wahr, Lulu war wieder da und ihrer alten Heimat nahe. Der Ton näherte sich, ich konnte ihre Bewegungen am Rhythmus verfolgen, jetzt ging sie, blieb stehen, ging wieder weiter. Bei der Biegung um eine der Gesindehütten kam sie uns in Sicht. Plötzlich war es sonderbar und reizvoll, einen Buschbock so nahe am Hause zu sehen. Sie blieb reglos stehen, sie hatte wohl erwartet, Kamante zu treffen, aber nicht mich. Doch lief sie nicht davon, sie sah mir unerschrocken ins Auge, nicht eingedenk unserer vergangenen Scharmützel und ihrer undankbaren wortlosen Flucht.
    Die Lulu des Waldes war ein höheres, freieres Wesen; ihr Herz hatte eine Wandlung erfahren, sie war geweiht. Hätte ich einmal eine junge Prinzessin in der Verbannung gekannt, zu einer Zeit, da sie erst Anwärterin auf ihren Thron war, und sie dann in ihrem vollen königlichen Schmuck, eingesetzt in alle ihre Rechte, wiedergesehen, so würde die Begegnung den gleichen Charakter gehabt haben wie diese. Lulu bewies nicht mehr Gesinnungslosigkeit als König Louis-Philippe, als er erklärte, der König von Frankreich erinnere sich nicht an die Tücken des Herzogs von Orléans. Sie war nun die vollendete Lulu. Der Geist des Angriffs war von ihr gewichen, denn wen oder warum sollte sie angreifen? Sie stand geruhsam da in ihrem göttlichen Recht. Sie kannte mich hinlänglich, um zu wissen, daß ich nicht zum Fürchten sei. Sie schaute mich eine Weile an, ihre tiefblauen opalisierenden Augen waren bar jeden Ausdrucks und zwinkerten nicht; mir fiel ein, daß die Götter und Göttinnen niemals zwinkern, und ich meinte, der kuhäugigen Hera von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Sie knabberte sorglos an einem Grashalm, als sie an mir vorüberging, machte einen anmutigen kleinen Satz und schritt weiter zur Küche, wo Kamante ihr den Mais auf den Boden gestreut hatte.
    Kamante berührte mit einem Finger meinen Arm und wies gegen den Wald. Als ich der Richtung folgte, sah ich unter dem hohen Kapkastanienbaum einen männlichen Buschbock, eine kleine lohbraune Silhouette gegen den Rand des Waldes, mit einem schönen Gehörn, reglos wie ein Baumstamm. Kamante beobachtete ihn eine Zeitlang und lachte dann. »Schau nur«, sagte er, »Lulu hat ihrem Mann erklärt, daß hier beim Hause nichts zu fürchten ist, aber er wagt es doch nicht, herzukommen. Jeden Morgen denkt er sich, heut werd ich den ganzen Weg mitgehen, aber wenn er das Haus sieht und die Menschen, dann kriegt er einen kalten Stein im Magen« – das ist ein häufiger Zustand bei den Schwarzen, der die Arbeit auf der Farm oft genug behindert –, »und dann bleibt er bei dem Baume stehen.«
    Lange Zeit kam Lulu frühmorgens ans Haus. Ihr helles Glöckchen verkündete die Sonne auf den Bergen, ich lag im Bett und wartete darauf. Manchmal blieb sie ein oder zwei Wochen aus, und wir vermißten sie und fingen an, von den Leuten zu sprechen, die ins Gebirge jagen gingen. Aber dann meldeten die Hausboys wieder: »Lulu ist da«, als wäre eine verheiratete Tochter des Hauses auf Besuch gekommen. Einige Male habe ich auch die Silhouette des Buschbocks zwischen den Bäumen gesehen, aber Kamante hatte recht: er brachte nie den Mut auf, den ganzen Weg bis zum Hause mitzugehen.
    Eines Tages, als ich von Nairobi heimkam, lief mir Kamante, der vor der Küchentür auf mich gelauert hatte, sehr aufgeregt entgegen und erzählte, Lulu sei heute bei der Farm gewesen und habe ihr M’toto – ihr Kleines – bei sich gehabt. Nach einigen Tagen hatte auch ich die Ehre, ihr zwischen den Gesindehütten zu begegnen; sie war auf der Hut und hatte es wichtig; ein winziges Kitzlein, das ihr nicht von den Fersen wich, war grad so ungelenk in seinen Bewegungen, wie Lulu gewesen war, als wir sie kennenlernten. Es war kurz nach der Regenzeit, und während der Sommermonate war Lulu nachmittags und bei Tagesanbruch beim Hause zu finden. Sogar über Mittag blieb sie manchmal in der

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