Jenseits von Timbuktu
internationales Topmodel gewesen, das die Kleider der berühmtesten Modeschöpfer vorgeführt hatte, bis zu jenem Tag, als eine furchtbare Feuersbrunst sie und ihren Zwillingsbruder Popi fast das Leben gekostet hätte. Eine feine Narbe, die sich von ihrer Stirn über die Wangen zum Kinn zog, war das einzig erkennbare Zeichen. Dass sie eine Perücke tragen musste, weil ihre Kopfhaut vom Feuer zerfressen war, wusste kaum jemand. Pienaar hatte auch hinter diesem Verbrechen gesteckt. Aber Thandile Kunene war eine sehr starke Frau. Sie war wieder gesund geworden, seelisch und körperlich und hatte sich ihren Lebenstraum erfüllt, indem sie ein Kinderkrankenhaus gründete.
Jill hatte eine besondere Beziehung zu ihr, etwas, woran sie immer erinnert wurde, wenn sie Thandi in die Augen sah. Mal grau, mal grün waren sie, wie das Meer vor einem Sturm. Etwas sehr Ãberraschendes in dem dunklen Gesicht einer Zulu. Thandi und Popi, der vor wenigen Jahren an Aids gestorben war, waren das Ergebnis einer betrunkenen Vergewaltigung durch Jills ehemaligen Schwager, einem brutalen, rassistischen Mann, der bis zu seinem Tod ein Freund Len Pienaars gewesen war. Er hatte die gleiche Augenfarbe gehabt.
Thandi ging vor den Kindern in die Knie und breitete die Arme aus. »Willkommen«, sagte sie lächelnd, konnte aber nur mit groÃer Mühe ihr Entsetzen verbergen, als sie sah, in welchem Zustand sich die Mädchen befanden. Anfänglich zeigten sich die Kinder verschlossen und misstrauisch, aber bei Thandis liebevoller BegrüÃung und den Bonbons, die die Ãrztin für sie bereithielt, wurden sie schnell zutraulich, und Jill konnte sie mit gutem Gewissen den kompetenten Händen ihrer Freundin überlassen.
»Ruf mich an, sobald du mit der Untersuchung fertig bist, wir holen sie dann ab«, sagte sie zu Thandi, bevor sie wieder zu Kira und Wilson ins Auto stieg. Nils war von Thandi aus wieder zurück zum Hof gefahren, um Nappys Auto an der verabredeten Stelle abzustellen. Philani wartete dort bereits auf ihn.
Auf Inqabas Parkplatz angekommen, hob Jill ihre Tochter aus dem Landrover und lief, gefolgt von Wilson, durch den Blättertunnel zum Haupthaus. Nils hatte sie unterwegs angerufen, dass er wohl ein paar Minuten vor ihr auf Inqaba ankommen würde, und deshalb rechnete Jill mit einem begeisterten BegrüÃungskomitee für Kira.
Aber die Farm lag totenstill vor ihr. Das Rauschen des Regens hatte vor ein paar Minuten wie abgeschnitten aufgehört, nun tröpfelte nur noch die Nässe aus den Bäumen. AuÃer den ersten Baumfröschen, die zu flöten anfingen, und dem leisen Gurgeln, mit dem das Wasser über den Weg im Blättertunnel strudelte, war kein Ton zu vernehmen. Kein Klirren von Geschirr, kein Lachen der Zulumädchen in der Küche, kein Laut von Luca, auch nicht von Nils. Keine Spur von irgendeinem menschlichen Wesen.
Mit Kira auf dem Arm blieb sie stehen. Was war hier los? Beklemmung schoss in ihr hoch. Wilson zog prompt seine Waffe und bedeutete ihr schweigend, hinter ihm in seinem Schutz zu bleiben. Schrittweise bewegten sie sich durch Stille, verlieÃen den Tunnel und schlichen lautlos über den gepflasterten Weg hinauf zum Haupthaus. Seine Pistole in den ausgestreckten Händen haltend, bog Wilson als erster um die Ecke.
Jill zögerte. Die Angst saà ihr im Hals, das Atmen fiel ihr schwer, die schrecklichsten Bilder, was sie dort vorfinden würde, wirbelten ihr durch den Kopf. Doch sie zwang sich, ebenfalls die Veranda zu betreten. Der Anblick, der sich ihr dort bot, lieà sie wie angewurzelt stehen bleiben.
Dass der vordere Teil der Veranda tatsächlich von den Regenmassen
unterspült worden war und abgerutscht sein musste, erkannte sie im Licht der starken Scheinwerfer, die die Hausumgebung ausleuchteten, sofort, aber nicht die zwei Gestalten, die platt auf den jetzt abschüssig geneigten Bohlen lagen. Beide klammerten sich an etwas, was eigenartig wie ein menschliches Bein aussah. Erst beim zweiten Hinsehen stellten sie fest, dass es Thabili und Jonas waren und dass die beiden Beine einem Mann gehörten, auf dem ein Mann saÃ, dessen breitschultrige Silhouette unverwechselbar war. Nils.
Ungläubig starrte sie auf das Schauspiel. Nur an der Kleidung konnte sie festmachen, dass er auf Flavio Schröders Rücken saÃ, der wiederum zwei Frauenbeine gepackt hielt. Mit jeder Hand eines. Der übrige Körper der
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