Jenseits von Timbuktu
Besitzerin verschwand über die Kante der abgerutschten Veranda im Nichts. Wo vorher der buschbewachsene Abhang hinunter zum Wasserloch geführt hatte, gähnte jetzt ein schlammgefüllter Abgrund. Der Abhang samt den Büschen schien hinunter ins Tal gerutscht zu sein. Die Beine der Person steckten in hautengen weiÃen Hosen, die Jill sofort bekannt vorkamen.
»Das ist Marina Muro«, flüsterte sie fassungslos.
Flavio Schröder sagte etwas. Es kam gepresst heraus, was bei dem Gewicht von Nils, der mit seinen über eins neunzig auf seinem Kreuz saà kein Wunder war. Jetzt stand ihr Mann auf, langte an dem Regisseur vorbei, ergriff die Knöchel der Schauspielerin und zog sie scheinbar mühelos hoch. Die wirre Mähne Marinas erschien, und darunter ihr rot angelaufenes Gesicht mit wutblitzenden Augen.
»Flavio, du dämliches Arschloch!«, kreischte sie. »Du hättest mich fast fallen lassen!« Sie verdrehte den Hals, um Flavio Schröder direkt anzufunkeln. »Um ein Haar wäre ich da runtergefallen und im Schlamm ertrunken! Und was hättest du dann gemacht, he? Ohne Hauptdarstellerin?«
»Ich hätte dich locker halten können, wenn du nicht so fett
wie ein Walross geworden wärst!«, schoss der Regisseur spöttisch zurück.
Marina wand sich aus Nilsâ Griff und sprang auf. Verwirrt sah Jill, dass sie den sich heftig windenden und hörbar kollernden Jetlag unterm Arm geklemmt hielt. Marina drückte den Hahn Nils in die Hand und stellte sich, die Arme in die Hüften gestemmt, dicht vor Flavio Schröder auf. Auf ihrem Gesicht trocknete der Schlamm zu einer hellen Kruste, ihr Lippenstift war verschmiert, Mascara bahnte sich als schwarze Rinnsale den Weg über ihre Wangen. Es gab ihr das traurige Aussehen eines weinenden Clowns. Aber das war sie nicht. Ãberhaupt nicht. Sie bebte vor Wut.
»Wag es ja nicht, das zu wiederholen ⦠du verdammter â¦Â« Sie brach ab, und jetzt bekamen die Mascarabäche tatsächlich Nachschub. »Du blöder â¦Â«
»Seien Sie nicht so ein verbohrter Kotzbrocken, verehrter Herr Regisseur, sie liebt Sie«, wurde sie von einer männlichen Stimme unterbrochen. »Haben Sie das noch nicht mitgekriegt?«
Jill riss den Kopf herum. Unter dem Dachvorsprung stand, mit eingegipstem Bein und auf Krücken gestützt, ein rothaariger, klapperdürrer Mensch von der Länge einer Bohnenstange und grinste Flavio Schröder an. Andy Kaminski, der Assistent von Dirk, der bei seinem Streit mit einem Zebra den Kürzeren gezogen und sich das Bein gebrochen hatte.
Jetzt lachte er laut. »Sie haben es noch nicht gemerkt, Herr Schröder, richtig? Herrgott, auch wenn Sie mich jetzt wohl feuern werden, muss das mal klargestellt werden. Mit Verlaub gesagt, Sie sind ja noch blinder als ein Grottenolm. Alle anderen wissen das schon lange.«
Der Regisseur und seine Hauptdarstellerin sahen sich an. Die Luft knisterte. Dann zog ein langsames Lächeln über das Gesicht Flavio Schröders. Wortlos steckte er die Hände in die Taschen
seiner verschmutzten Cargohosen und ging ein paar Schritte. Dann blieb er stehen und schien nachzudenken. Urplötzlich tat er einen übermütigen Schnalzer. Und dann noch einen.
»Heureka!«, flüsterte Andy Kaminski und grinste wie ein Honigkuchenpferd.
Von Marina ging auf einmal ein Strahlen wie von der aufgehenden Sonne aus. Sie funkelte vor Glück, und für einen Moment verbreitete sich eine wunderbar warme Stimmung, die allerdings von Nils, der offenbar von dem, was sich da abgespielt hatte, nichts mitbekommen hatte, rüde unterbrochen wurde. Er hatte den gackernden Hahn grob am Hals gepackt.
»Jetzt kommt er in die Suppe, und zwar endgültig«, röhrte er mit einem Ausdruck grimmiger Entschlossenheit. »Der hat genug Unheil angerichtet.«
»Kommt er nicht!«, kreischte Kira und riss sich von ihrer Mutter los. »Wehe!«
»Kommt er nicht, keine Angst«, mischte sich Marina ein und warf Nils einen schmelzenden Blick zu. »Der Hahn ist Luca entwischt, und der hörte gar nicht mehr auf zu weinen. Also mussten Flavio und ich Jetlag doch irgendwie wieder herbeischaffen. Gott sei Dank hat das Biest einen ziemlichen Lärm gemacht, sodass wir ihn schnell gefunden haben. Er hat bis zu seinem dürren Hals unter der Veranda im Schlamm gesteckt, seine Beine waren unter einem Balken eingeklemmt. Um ein Haar
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