Jenseits von Timbuktu
wäre er ertrunken, und wir haben ihn nur unter Einsatz unseres Lebens gerettet, und deswegen kommt er jetzt auf keinen Fall in die Suppe, nicht wahr?« Sie lächelte Nils heiter an und wrang sich den Schlamm aus den langen Haaren.
Nils gab sich alle Mühe, unwirsch dreinzuschauen, aber bald zuckten seine Schultern vor Lachen, und er ergab sich mit erhobenen Händen.
»Na also«, sagte Marina zufrieden und nahm ihm den strampelnden
Hahn ab, um ihn Kira in die Arme zu drücken, die ihn strahlend umarmte und glücklich in sein struppiges Federkleid kicherte.
Es war das schönste Geräusch, dass Jill seit Langem gehört hatte.
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Dirk prüfte im Licht des Scheinwerfers zum wiederholten Mal die Kompassnadel seiner Uhr und justierte die Ausrichtung, bis der Zeiger genau nach Nordosten zeigte. Der Marsch quer durch den Busch war ungeheuer anstrengend. Seine Muskeln und Gelenke knirschten, sein Schienbein blutete, die FüÃe taten bei jedem Schritt saumäÃig weh. Und in den letzten Minuten hatte ihn die Vorstellung gequält, dass alles umsonst gewesen sein könnte. Aber er verdrängte die schwarzen Gedanken mit Macht und bahnte sich mit gewaltigen Pangahieben den direktesten Weg durchs Gestrüpp.
Irgendwo brüllte unvermittelt ein Löwe, und er bekam einen trockenen Mund vor Schreck. Er klang deutlich näher als zuvor. Unbehaglich leuchtete er die Umgebung ab. Der Ruf der Raubkatze rollte durch die Nacht, schien von überall zu kommen, sogar die Erde unter seinen FüÃen erzitterte, und er spürte, wie sich ihm die Haare im Nacken sträubten. Plötzlich erschien ihm die Dunkelheit dichter, der Busch unheimlicher, die Schatten schwärzer. Sein Scheinwerferstrahl sprang hierhin und dorthin. Bewegte sich nicht dort der Ast? War es ein Affe? Eine Schlange? Oder ein Leopard, der nur darauf wartete, ihm in den Nacken zu springen? Er schüttelte sich unwillkürlich.
»Hör auf, du Idiot!«, sagte er laut und holte mit dem Panga aus.
Irgendwann stieà er auf einen schmalen Pfad und atmete erleichtert auf. Für einen Augenblick gönnte er sich eine Verschnaufspause, eher er weiter über den vom Regen glitschigen Weg hastete. Als er den Schrei vernahm, stoppte er so abrupt,
dass er ausrutschte und der Länge nach in den Matsch fiel. Der Panga flog ihm aus der Hand, der Scheinwerfer ebenfalls, wobei es ein hässliches Knacken gab. Auf dem Bauch liegend zog er ihn an sich heran und musste feststellen, dass das Scheinwerferglas einen durchgehenden Riss bekommen hatte. Aber die Birne brannte noch, und das war die Hauptsache. Er blieb einfach im Matsch sitzen und horchte in höchster Erregung in die Finsternis.
Doch die Nacht blieb still. Unsicher, was er gehört hatte  â ob er überhaupt etwas gehört hatte und es keine akustische Täuschung gewesen war  â, schüttelte er unwillkürlich den Kopf, stemmte sich frustriert auf die Beine und sammelte Scheinwerfer und Panga wieder ein. Seine gesamte Vorderseite war mit rotem Schlamm verklebt, auch sein Schienbein. Wie ein Verband bedeckte die rote Masse den Riss. In der Hoffnung, dass der Schlamm nicht mit irgendwelchen exotischen Bakterien verseucht war, streifte er ihn nicht ab.
Und dann hörte er es wieder, und dieses Mal war er davon überzeugt, dass er einen Vogelruf vernommen hatte. Er biss sich auf die Lippe. Auf Anhieb fiel ihm kein Vogel ein, der so klang. So menschlich. In Windeseile ging er die Namen der Vögel durch, die er kannte, und versuchte sich vorzustellen, wie ihr Ruf klang. Erst nach einer Weile kam er darauf, dass Vögel nachts schliefen. Bis auf Nachtvögel natürlich. Inbrünstig wünschte er sich, dass Jill jetzt neben ihm stünde. Sie hatte nicht nur besonders feine Ohren, sondern würde genau wissen, ob es Nachtvögel gab, die derartige Geräusche machten. Deprimiert nagte er an seiner Unterlippe.
Als er den Schrei ein drittes Mal hörte, war er sich endlich sicher, dass dieser nicht aus einer Vogelkehle stammte. Er war menschlich, und es war eine Frau gewesen, die geschrien hatte. Ein Lächeln huschte über seine schlammverschmierten Züge. Bei der Vorstellung, dass er Anita tatsächlich auf der Spur war,
schlug ihm das Herz bis zum Hals. In einem plötzlichen Aufwallen von Emotionen schossen ihm die Tränen hoch. »Herrgott noch mal«, murmelte er erstickt.
Allerdings war es definitiv nicht
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