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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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die richtige Zeit, sich jetzt seinen Gefühlen hinzugeben, also zwang er sich, die Lage zu analysieren. Die wichtigste Erkenntnis war, dass Anita, wenn sie noch schreien konnte und so es tatsächlich ihre Stimme gewesen war, noch am Leben sein musste. Irgendwo dahinten, hinter den Büschen, vermutlich nahe der Futterstelle für die Raubkatzen von der Nappy gesprochen hatte. Schätzungsweise nicht mehr als hundert Meter Luftlinie entfernt. Seine Anita! Ein Energieschub durchzuckte ihn, und er machte einen gewaltigen Satz über den Stamm eines umgefallenen Baums.
    Das plötzliche Klingeln seines Telefons in der Stille des nächtlichen Buschs war so schockierend laut, dass er vor Schreck stolperte. Er klemmte sich den Panga unter den Arm und zog es schnell heraus. Die Nummer auf dem Display war die von Jill. »Ja«, meldete er sich.
    Sie erkundigte sich als Erstes, ob ihm auch nichts zugestoßen sei und ob er gut vorankomme. »Wo bist du jetzt?«
    Â»In der Nähe der Futterstelle offenbar«, hechelte er im Laufen. »Ich habe etwas gehört, einen Ruf oder einen Schrei. Erst dachte ich, es wäre ein Vogel, aber jetzt bin ich mir sicher, dass es ein Mensch war. Eine Frau.« Vor ihm versperrte ihm Zweiggewirr den Weg. »Warte mal kurz.« Er steckte das Telefon in die Tasche und durchtrennte das Hindernis mit einem kräftigen Hieb mit dem Panga. Dann setzte er das Gespräch mit Jill fort. »Kannst du mir genau beschreiben, wo der Eingang zur Futterstelle liegt und wie er beschaffen ist?«
    Â»Nappy sagt, er ist auf der Südseite, aber er ist getarnt, vermutlich mit trockenem Dornengestrüpp, also musst du sehr genau hinsehen. Außerdem würde ich an deiner Stelle das Scheinwerferlicht irgendwie dämpfen. Vielleicht kannst du dein
Hemd drumwickeln. Denk dran, was Nappy gesagt hat. Der Kerl kann Gefahr riechen. Bitte sei vorsichtig.«
    Dirk fiel ein, was sie über diesen Len Pienaar erzählt hatte. Was dieser Mann ihr und ihrer Familie angetan hatte. Sofort stürzte eine Kaskade von Bildern über ihn herein, von blutigen Verkehrsunfällen, Kriegsopfern, Opfern von Sexualmördern. Und alle trugen Anitas Gesicht. Eigentlich war das völlig belanglos, aber seine Nerven waren derart überreizt, dass sie ihm diesen Streich spielten. Sein Magen zog sich zu einem heißen, sauren Knoten zusammen. Schutzlos war er diesem Ansturm ausgeliefert, nicht fähig, diese Bilder zu bannen.
    Er blieb stehen, schloss die Augen und konzentrierte sich auf einen Punkt in seiner Mitte. Er durfte nicht daran denken, es würde ihn lähmen, seine Urteilskraft trüben und letztlich Anita dem Unheil preisgeben. Er musste seinen Kopf frei haben, um blitzschnell und nüchtern eine Situation beurteilen und eine Entscheidung fällen zu können. Jill hatte ihm geraten, das Scheinwerferlicht zu dämpfen. Das musste er als Nächstes tun, das würde ihm helfen, sein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden.
    Â»Dirk? Bist du noch dran?« Jills Stimme.
    Â»Bin ich, entschuldige … mir war gerade etwas eingefallen.«
    Â»Warte noch. Nappy ist auf dem Weg zu dir. Er kennt die Gegend seit seiner Jugend wie seine Westentasche, wie er sagt und kann dir viele Umwege ersparen. Also, halt die Augen nach ihm offen. Er hat deine Telefonnummer.«
    Während sie sprach, hatte er schon voller Ungeduld sein Hemd ausgezogen. Er klemmte das Telefon zwischen Kinn und Schulter, um beide Hände frei zu haben, und knotete das Hemd so um den Scheinwerfer, dass nur noch diffuse Helligkeit durch den Baumwollstoff drang. Gerade noch ausreichend, um ihm den Weg zu zeigen. Unterdessen verabschiedete sich Jill mit einer weiteren Mahnung zur Vorsicht. Er steckte das Handy ein
und bewegte sich aufs Höchste angespannt vorwärts. Der gedämpfte Lichtkegel beleuchtete nur den Boden unmittelbar vor seinen Füßen. So geschah es immer wieder, dass er über Baumwurzeln stolperte oder bis zu den Knöcheln in Schlammlöchern versank und deshalb deutlich langsamer vorankam als zuvor.
    Ein weiterer Schrei war nicht zu vernehmen. Nur das Knacken der Zweige unter seinen Füßen und das eintönige Flöten der Baumfrösche war zu hören, und ab und zu das tiefe Grollen des Königs der Tiere. Krampfhaft bedacht, kein unnötiges Geräusch zu verursachen, schlich er auf die Südseite des Geheges zu. Nach einigen Minuten mischte sich in den Modergeruch von

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