Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
Vom Netzwerk:
Ihre Stammesgenossen  – einerlei, ob sie einfache Landarbeiter waren oder studiert hatten  – begegneten der Alten samt und sonders mit großer Scheu. Manche glaubten sogar, sie existiere gar nicht, sie sei nur ein Schatten, eine ruhelose Untote mit übersinnlichen Kräften, die in Vollmondnächten Zaubermedizin zusammenbraue, mit der sie sich die Menschen gefügig mache. Lena schürte diese Legenden, indem sie immer wie aus dem Nichts auftauchte und ebenso plötzlich wieder verschwand, als wäre sie tatsächlich nur eine Sinnestäuschung. Manche schworen sogar, dass sie mit den Händen durch sie hindurchfahren könne, dass sie keinen irdischen Körper habe.
    Alles kompletter Unsinn, wie Jill genau wusste. Die Alte war
durchaus menschlich. Oft genug waren sie aufeinandergetroffen, sie und diese winzige, mumienhafte Zulu, von der niemand wusste, wie alt sie wirklich war. Schon als sie der Hexe als Kind das erste Mal über den Weg gelaufen war, war sie ihr uralt erschienen. Selbst Jill überfiel in der Erinnerung daran leichte Beklemmung, wenn sie daran zurückdachte.
    Bei Sonnenaufgang war sie wie jeden Tag auf Inqaba herumgestrolcht, hatte Vögel beobachtet, Marulafrüchte vom Baum geschüttelt und den Affen zugesehen, wie sie aus dem Garten ihrer Mutter Guaven klauten, als wie aus dem Boden gewachsen eine Kreatur vor ihr erschienen war. Ein Affenkopf starrte sie mit teuflisch schillernden, grünen Augen an, um den dürren Hals wand sich eine grüne Schlange, die den eigenen Schwanz auffraß, ganze Lagen Felle hingen an dem Wesen herab bis auf die Erde. Zu Tode erschrocken, war Jill wie gelähmt gewesen, hatte nicht reden können, nicht weglaufen, nicht nach ihrer Mutter rufen.
    Erst als die Kreatur die Hände zusammenschlug, den Mund öffnete, mehrere gelbe Zahnruinen entblößte und ein gackerndes Geräusch ausstieß, das auf unheimliche Art dem Gelächter einer Hyäne ähnelte, war dem kleinen Mädchen, das sie damals war, aufgegangen, dass sie einen Menschen vor sich hatte, dass der Affenkopf nicht einem lebendigen Tier gehörte, dass es grüne Schmeißfliegen waren, die, von irgendetwas angezogen, den Augen diese albtraumhafte Lebendigkeit verliehen, und dass die Schlange ausgestopft war. Später sollte sie erfahren, dass die alte Lena die Augenhöhlen des Affenschädels mit Tierblut bestrichen hatte, um die Fliegen anzulocken.
    Derartige Tricks hatte die Alte noch heute drauf, und ein paar neue dazu. Seit Jill Inqaba übernommen und es in eine Gästefarm umgewandelt hatte, führte die Sangoma einen Kleinkrieg gegen sie, beharrte darauf, dass sie nur an Plätzen, über die noch nie der Schatten eines anderen Menschen gefallen war, ihre Kräuter sammeln konnte. Nur da würden sie ihre volle Wirkung
entfalten. Nun waren Farmarbeiter schon immer kreuz und quer über Inqabas Areal gelaufen. Heute taten es die Ranger und bewaffnete Wachen, die nach Wilderern Ausschau halten mussten, und ohne Zweifel trampelten diese auch hier und da über die Stellen, wo die Kräuter wuchsen. Es gab in Zululand wohl keinen Quadratmeter mehr, auf den nicht schon der Schatten eines Menschen gefallen war. Aber so war es nun eben. Ändern konnte und wollte sie daran nichts. Trotzdem hatte sie ihre Leute angewiesen, darauf Rücksicht zu nehmen, nicht ohne Grund über ein jungfräulich wirkendes Stück Land auf der Farm zu laufen, obwohl es das genau genommen wohl nicht war. Schon seit Jahrhunderten nicht mehr.
    Die alte Lena wehrte sich auf ihre Weise. Sie tauchte wie aus dem Nichts vor Inqabas Gästen auf und erschreckte sie mit ihrem Aufzug, dem widerlichen Gestank, dem irren Gelächter fast zu Tode. Aber da hatte sich die Sangoma verrechnet. Kaum jemand ließ sich vergraulen. Im Gegenteil. Besonders nicht die ausländischen Gäste. Nach dem ersten Schreck zeigten sich die meisten von der Sangoma begeistert und zückten die allzeit bereiten Kameras, worauf die Zulu unter empörtem Gegacker in den Busch rannte. Allerdings war Jill auch zu Ohren gekommen, dass Lena neuerdings bei den Touristen kräftig für die Fotos abkassierte.
    Jill kraxelte das abschüssige Ufer zur Brücke hoch. »Ich dreh der alten Hexe den Hals um, wenn ich sie erwische!«, sagte sie mit Inbrunst. »Eigenhändig und schön langsam. Komm, wir fahren zurück.« Im Gehen hob sie das Funkgerät an den

Weitere Kostenlose Bücher