Jenseits von Uedem
Gemeinde drängte heran.
Ein Schwall Flüssigkeit schoß aus seinem Mund.
Eine Frau kniete neben ihm nieder und nahm seine Hand.
Er lag still.
5
Norbert van Appeldorn kam mit nassen Haaren. Er hatte gestern zusammen mit seinen Fußballkollegen von den Alten Herren des SV Siegfried Materborn ausgiebig Karneval gefeiert und sich davon noch nicht wieder erholt. Als Toppe anrief, hatte er gerade zwei Aspirin geschluckt und sich unter die heiße Dusche gestellt, um wieder fit zu werden. Heute abend wollte seine Frau mit ihren Freundinnen feiern gehen, während er auf die beiden Töchter aufpassen sollte, und als er zum Präsidium fuhr, hatte Marion ihn angeraunzt, er solle gefälligst rechtzeitig zurück sein.
Walter Heinrichs war genauso guter Dinge wie sonst auch. Er machte sich nichts aus Karneval und sollte seit seinem Herzinfarkt im vorletzten Jahr sowieso kürzer treten, meinten jedenfalls die Ärzte. So hatte er sich auf ein ruhiges Wochenende zu Hause in Goch gefreut - sofern Wochenenden in einem Haushalt, in dem vier kleine Kinder herumflitzten, ruhig sein konnten. Vor ein paar Tagen hatte er seine Kollegen geschockt, indem er fröhlich erzählte, daß Nummer Fünf unterwegs sei. Er war dreiundfünfzig Jahre alt und dem Tod damals nur so gerade eben noch von der Schippe gesprungen, aber das schien ihn nicht zu interessieren.
»Und du denkst, ich soll Günthers Rolle übernehmen?« meinte er händereibend, nachdem er seine neunundneunzig Kilo hinter dem Schreibtisch untergebracht hatte.
Günther Breitenegger, der normalerweise der Aktenführer im K1 war, hatte kurzfristig Urlaub genommen. An Altweiber war seine Mutter gestorben, und er mußte runter nach München, um die Beerdigung zu regeln und die Wohnung aufzulösen.
»Ja«, antwortete Toppe, »ich glaube, das liegt dir.«
Van Appeldorn kippte seinen Stuhl gegen die Wand, legte die Beine auf den Schreibtisch und schloß ächzend die Augen.
Toppe begann, den Fall zu schildern, unterbrach sich aber und öffnete das Fenster. Es roch immer noch nach Farbe. Vor vierzehn Tagen hatte man überraschend ihr Büro renoviert - zumindest teilweise.
Zwar waren die Wände gestrichen worden, aber von der Tür und den Fensterrahmen blätterte immer noch der Lack ab. Die alten Schreibtische hatte man rausgeschmissen und ihnen. zwei große Doppelschreibtische aus mausgrauem Kunststoff reingestellt. Auch der abgeschabte Aktenschrank war verschwunden, aber es gab keinen Ersatz, und so stapelten sich zwischen Usambaraveilchen und Kaffeemaschine die Papierberge auf der Fensterbank. Astrid hatte einen brandneuen Schreibtischsessel bekommen, den passenden Arbeitstisch hatte man leider vergessen. Im Augenblick erledigte sie ihren Schriftkram an einem Eckchen des Tisches für das Faxgerät. Hinter der Tür stand immer noch der alte, windschiefe Garderobenständer.
»Te Laak?« murmelte van Appeldorn. »Ich glaube, den kenn' ich.«
»Woher?« fragte Astrid.
»Hat vor Jahren auch mal Fußball gespielt. Ziemlicher Looser.« Er machte endlich die Augen auf, nahm die Beine vom Tisch und ging zur Fensterbank, um Kaffee zu kochen. Astrid konnte es gar nicht fassen. Es war das erste Mal, daß van Appeldorn sich hier nicht bedienen ließ.
Er hatte ihren Blick bemerkt und grinste: »Wünschen gnädige Frau zu Ihrem Kaffee auch etwas Gebäck?«
»Klar«, kicherte sie.
»Wie wär's mit ein paar Teilchen aus der Kantine?«
»Prima Idee«, antwortete Astrid und blieb sitzen.
»Für mich zwei Mohnschnecken«, rief Heinrichs.
»Und einen Amerikaner«, sagte van Appeldorn und fing an, Kaffeepulver in den Filter zu löffeln.
Toppe seufzte. »Ich geh' schon.«
Sie tranken Kaffee und überlegten die nächsten Schritte.
Um kurz nach zwei verließen alle vier das Präsidium: Toppe und van Appeldorn, um noch einmal einzeln mit te Laaks Freunden zu sprechen, und Astrid wollte mit Heinrichs te Laaks persönliche Habseligkeiten, die Fotos und Karteikästen, den Computer und die Disketten abholen.
Keiner von ihnen war besonders engagiert bei dem Fall, keiner hatte es besonders eilig.
Toppe rettete van Appeldorns Familienfrieden und machte um halb sieben Schluß.
Te Laaks sogenannte Freunde hatten kein Blatt vor den Mund genommen: der Mann sei eine Null gewesen, ein großmäuliges Muttersöhnchen, über das man sich hinter vorgehaltener Hand lustig machte. Mehr war bei der Befragung seiner Begleiter nicht herausgekommen. Allerdings standen zwei von ihnen noch für morgen auf ihrer
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