Jeremy X
Ich werde doch keinen Platz für Kartoffelbrei verschwenden, wenn ich eine Chance auf eine zweite oder sogar dritte Portion Möhrenkuchen habe!«
Kapitel 20
Mehrere Stunden später betrat Jack sein eigenes Appartement. Noch einmal ging ihm durch den Kopf, was seine Eltern gesagt hatten.
So sehr sie recht haben mochten, wie wichtig es doch sei, jemanden zu haben, bei dem man ein offenes Ohr findet, so brauchte Herlander Simes doch in Wahrheit deutlich mehr als Jack McBryde - oder sonst irgendjemand -, ging es ihm durch den Kopf. Und trotz seiner eigenen Ausbildung und seiner Bemühungen, Jacks berufsmäßige Distanziertheit reichte bei weitem nicht aus, um ihn vor den negativen Auswirkungen zu beschützen, die Simes' Verzweiflung hatte.
An seinem Com überprüfte er, ob irgendwelche persönlichen Nachrichten eingegangen waren, doch er fand nichts vor, und so durchquerte er das Wohnzimmer des Appartements und steuerte das Schlafzimmer an. Im Augenblick war es in diesem Schlafzimmer recht einsam, es gab keine weibliche Gesellschaft, und Jack vermutete, das habe durchaus mit seiner eigenen Reaktion auf Simes zu tun. Im Laufe mehrerer Monate war seine letzte Beziehung auf eine ›Trennung in gegenseitigem Einvernehmen‹ hinausgelaufen, noch bevor Bardasano ihn zu sich bestellt hatte, doch Jack zweifelte nicht daran, dass die Inanspruchnahme durch Simes es letztendlich noch vorangetrieben hatte. Und er war sich sicher, dass dieser Auftrag immens dazu beitrug, dass er nicht sonderlich viel Energie aufzubringen vermochte, nach einer neuen Partnerin Ausschau zu halten.
Was ziemlich dämlich von mir ist, wenn man es genau bedenkt, dachte er und grinste schief. Wenn ich mich jetzt in einen Mönch verwandele, hilft das Herlander auch nicht, oder?
Vielleicht nicht, erwiderte eine andere Ecke seines Gehirns. Tatsächlich ist das sogar so. Aber es ist einfach ein bisschen schwierig, fröhlich und gemütlich durchs Leben zu schlendern, wenn man miterleben muss, wie jemand anderes Schritt für Schritt auf einen völligen Zusammenbruch zusteuert.
Er zog sich aus, schlüpfte unter die Dusche und stellte das Wasser an. Jack wusste, dass Zachariah die rascheren und deutlich bequemeren Schallduschen vorzog, doch Jack hatte schon immer die sinnliche Freude genossen, die heißes Wasser spendete. Er stand unter den Strahlen, spürte, wie sie auf seine Haut prasselten, genoss ihre Berührungen, und doch konnte er sich dieses Mal nicht ganz so sehr auf diesen Genuss einlassen wie sonst. Sein Verstand war immer noch zu sehr mit Herlander Simes beschäftigt.
Es war dieser Kontrast zwischen dem Unglück, das derzeit Simes' gesamte Existenz prägte, und dem engen Zusammenhalt seiner eigenen Familie, wie er jetzt begriff. Diese tröstliche, pflegende Fürsorge und das Gefühl, stets willkommen zu sein. Seine Eltern anzuschauen und zu spüren, dass selbst nach all den Jahren ihre Kinder immer noch Kinder waren. Erwachsen, gewiss, und so musste man sie auch behandeln, aber es waren immer noch ihre geliebten Söhne und Töchter, um die man sich sorgte, und die man hegte und hütete. An denen man sich freute und die man liebte, für alles das, was sie waren.
Und genau das hatte man Simes geraubt.
Er versuchte - vergeblich -, sich vorzustellen, wie sich das anfühlen musste. Der Schmerz angesichts dieses Verlustes ...
Unter dem Wasser, das unablässig auf ihn niederprasselte, schüttelte er den Kopf, die Augen geschlossen. Alleine schon, wenn man rein selbstsüchtig betrachtete, was man Simes gestohlen hatte, musste der Zorn darüber unermesslich und unvorstellbar sein. Doch Jack hatte mittlerweile mehrmals mit Simes gesprochen. Er wusste, dass ein Teil des Zorns, der unbändigen Wut, die dieser Hyperphysiker empfand, aus dem Gefühl geboren war, selbst betrogen worden zu sein. Aus dem Gefühl, man habe ihm etwas unaussprechlich Wertvolles einfach genommen, einen Teil seiner Selbst.
Doch im Zuge genau dieser Gespräche hatte Jack auch begriffen, dass es, viel mehr als dieser Verlust für Herlander selbst, das Leben war, das man seiner Tochter geraubt hatte, das diesen Mann immer weiter in den Abgrund trieb. Er hatte in seiner Francesca ein Versprechen gesehen, das Thomas und Christina McBryde in ihrer JoAnne, ihrem Jack, ihrem Zachariah und ihrer Arianne gehalten sahen. Er hatte gewusst, was das Kind eines Tages hätte werden können, hätte all das Leben, all die Liebe und all die Erfolge gesehen, alles, was sie hätte erleben dürfen in
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