Jeremy X
einige Sekunden lang vorsichtig. Dann setzte er das Glas an die Lippen und schloss die Augen, als das schwere, aromatische Feuer sich langsam seinen Weg die Kehle hinab bahnte.
Das half nicht. Störrisch schwebten vor seinem geistigen Auge immer noch zwei Gesichter - ein Mann mit rotblondem Haar und haselnussbraunen Augen und ein sehr viel kleinerer, zweiter Mann mit braunem Haar, braunen Augen und einem breiten Lächeln.
Das ist doch albern, dachte er. Ich kann nichts von allem ändern, und Herlander auch nicht. Und nicht nur das, ich weiß auch genau, dass dieser ganze Schmerz ihn nur immer weiter zerfrisst und sich auf den ganzen Zorn auftürmt. Dieser Mann verwandelt sich in eine Art Zeitbombe, und ich kann nicht das Geringste dagegen tun. Er wird zusammenbrechen - das ist nur eine Frage der Zeit -, und als ich die Art und Weise, in der er dann reagieren wird, Bardasano gegenüber deutlich heruntergespielt habe, da habe ich mich einfach geirrt. Sein Zusammenbruch wird kommen, und wenn es so weit ist, dann wird er so verdammt wütend sein - und es wird ihm so herzlich egal sein, was dann mit ihm geschehen wird -, dass er irgendetwas richtig, richtig Dämliches anstellt. Ich weiß noch nicht was, aber ich kenne ihn mittlerweile gut genug, um so viel zu wissen. Und es ist mein Job, ihn genau davon abzuhalten.
Es war einfach bizarr. Ihm hatte man die Aufgabe übertragen, dafür zu sorgen, dass Simes nicht zusammenbrach, sondern an seinen entscheidenden Projekten weiterarbeitete - und zwar effektiv weiterarbeitete. Und dafür zu sorgen, dass, sollte der Zeitpunkt kommen, an dem Simes sich selbst zerstörte, er diese Projekte nicht beschädigte. Und doch, trotz alledem, empfand Jack nicht das drängende Bedürfnis, die entscheidenden Interessen des Alignments zu beschützen, sondern irgendwie dem Mann zu helfen, vor dem er das Alignment doch eigentlich schützen sollte. Irgendwie einen Weg zu finden, diesen Mann davon abzuhalten, sich selbst zu Grunde zu richten.
Eine Möglichkeit zu finden, wenigstens einen Teil der Schmerzen zu lindern, die man ihm zugefügt hatte.
Jack McBryde hob das Glas, um einen weiteren Schluck Whiskey zu nehmen, doch dann erstarrte er, als dieser letzte Gedanke richtig zu ihm durchdrang.
›Zugefügt‹, dachte er. Ja, ihm zugefügt. Genau das denkst du in Wahrheit, oder, Jack? Nicht, dass das eines dieser schrecklichen Dinge ist, die eben manchmal geschehen, sondern dass es nicht hätte geschehen müssen.
Etwas Eiskaltes schien ihm durch Adern und Venen zu sickern, als ihm bewusst wurde, welchen Gedanken er sich selbst gegenüber gerade eingestanden hatte. Der bestens ausgebildete Sicherheitsprofi in ihm erkannte die Gefahr, die darin lag, sich derartige Gedanken zu gestatten, doch das mitfühlende Wesen, das er eben auch war - der Teil von ihm, der Christina und Thomas McBrydes Sohn war -, konnte diesen Gedanken nicht abschütteln.
Es war nicht das erste Mal, dass seine Gedanken in diese Richtung gewandert waren. Er begriff langsam, als er sich zurückerinnerte, dass er schon früher Zweifel angesichts der Weisheit des Masterplans des Ausschusses für Langfristige Planung gehegt hatte, Zweifel an diesem Bestreben, die Verworrenheit des Ganzen zu meistern, die besten Instrumente schaffen zu wollen, um das wahre Schicksal der Menschheit zu erreichen.
Wann haben wir den Kurs gewechselt?, fragte er sich. Wann haben wir davon abgesehen, jedes einzelne Individuum in seinen Stärken zu optimieren, und stattdessen hübsche kleine Ziegelsteine für ein sorgsam geplantes Gebäude zu produzieren? Was würde Leonard Detweiler denken, wäre er jetzt hier und könnte die Entscheidungen des Ausschusses begutachten? Hätte er ein kleines Mädchen einfach fortgeworfen, das von seinem Vater so sehr geliebt wurde? Hätte er Herlanders Angebot, sämtliche finanziellen Kosten zu tragen, die damit einhergingen, für dieses Kind zu sorgen, auch abgelehnt? Und falls ja, was sagt uns das darüber, wo wir von Anfang an gestanden haben?
Erneut dachte er an Fabres Memo, über die Gedanken und die Grundeinstellung, die dahinterstanden. Er hatte niemals gezweifelt, dass Fabre das alles gänzlich aufrichtig gemeint hatte, dass sie wirklich versuchte, Simes vor den Konsequenzen seiner eigenen verrückten, weltfremden Bemühungen zu bewahren. Doch wäre das nicht eigentlich Simes' Entscheidung gewesen? Hatte er nicht das Recht, wenigstens um das Leben seiner Tochter zu kämpfen? Durfte er sich nicht bewusst dafür
Weitere Kostenlose Bücher