Jeremy X
die ein Alterden-Hai aufzubringen vermochte, sobald er Blut gewittert hatte. Gut, er war mehr als eine Stunde früher nach Hause gekommen als erwartet, aber trotzdem ...
»Harriet! Frankie!«
Immer noch keine Antwort, und die Falten auf seiner Stirn wurden noch tiefer.
Vorsichtig legte er das Päckchen auf den Beistelltisch im Foyer und betrat das eigentliche geräumige Appartement mit seinen zweihundertfünfzig Quadratmetern. Er ging geradewegs zur Küche. Herlander war Mathematiker und theoretischer Astrophysiker, und seine Frau Harriet - ihre Freunde nannten sie gemeinsam gerne einfach nur ›H&H‹ - war ebenfalls Mathematikerin, auch wenn sie in der Abteilung für Waffenentwicklung tätig war. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, neigte Harriet dazu, eher Notizzettel am Kühlschrank zu befestigen, als ihm von ihrem persönlichen Minicomputer aus irgendwelche Nachrichten zu schicken. Herlander sah darin eine ihrer liebenswerten Eigenheiten, und eigentlich störte es ihn auch gar nicht. Wenn man bedachte, wie viel Zeit sie mit elektronisch formatierten Daten verbrachte, hatte es durchaus etwas Ansprechendes, sich auf altmodische Handschrift und Papierzettelchen zu verlassen.
Doch an diesem Abend hing am Kühlschrank kein Zettel, und Herlander spürte das Prickeln von etwas, das noch nicht ganz die Zeit gehabt hatte, sich zu echter Beunruhigung zu entwickeln. Aber es ging sehr wohl in genau diese Richtung, und so ließ er sich auf einen der hohen Stühle an der Küchenbar sinken und blickte sich in der Leere des Appartements um.
Wenn irgendetwas passiert wäre, hätte sie es dich doch wissen lassen, du Idiot, sagte er sich mit fester Stimme. Ist ja nicht so, als hätte sie nicht genau gewusst, wo du gerade steckst!
Er holte tief Luft, zwang sich dazu, sich aufrechter zu setzen, und gestand sich selbst ein, was genau ihn hier eigentlich beunruhigte.
Wie viele - eigentlich sogar die überwältigende Mehrheit - aller Paarbildungen innerhalb der Alpha-Linie, die der Ausschuss für Langfristige Planung arrangiert hatte, waren Herlander und Harriet aufeinander aufmerksam gemacht worden, weil ihre Genome sich so perfekt ergänzten. Trotzdem hatten sie noch keine eigenen Kinder. Mit seinen siebenundfünfzig Jahren war Herlander für einen Prolong-Empfänger der dritten Generation immer noch ein junger Mann - vor allem ein junger Mann, dessen sorgfältig verbesserter Körper noch mindestens ein paar Jahrhunderte lang durchhalten würde, selbst ohne zusätzliche Therapien. Harriet war einige T-Jahre älter als er, aber doch nicht genug, dass es irgendetwas ausgemacht hätte, und die beiden waren viel zu sehr mit ihrer Karriere beschäftigt gewesen, um sich die Zeit zu nehmen, die nun einmal erforderlich war, um Kinder richtig aufzuziehen. Sie hatten die Absicht, mehrere echte biologische Nachkommen zu zeugen - alle Paare der Top-Linien wurden ausdrücklich dazu ermuntert, natürlich zusätzlich zu den geklonten Paaren, die der Ausschuss produzieren ließ -, doch sie hatten ebenso die Absicht, damit noch mindestens einige Jahre zu warten.
Auch wenn der ALP von ihren Kindern große Dinge erwartete, hatte bislang noch niemand versucht, den Zeitplan der Familie Simes voranzutreiben. So wertvoll, wie ihre Nachkommen vermutlich sein würden - insbesondere dank der unvermeidlichen feinen Verbesserungen durch den ALP -, war ihnen beiden doch bewusst, dass ihre derzeitige Arbeit von größerem unmittelbarem Wert war.
Deswegen hatte es sie auch so überrascht, als sie zu Martina Fabre gerufen wurden, einer der Leiterinnen des Ausschusses. Keiner von ihnen war Fabre bislang begegnet, und die Aufforderung, sie aufzusuchen, war nicht mit irgendeiner Erläuterung einhergegangen. Daher waren sie mehr als nur ein wenig ängstlich gewesen, als sie sich wie verlangt meldeten.
Doch Fabre hatte ihnen sofort klargemacht, dass sie keineswegs in Schwierigkeiten waren. Tatsächlich schien die Genetikerin mit dem silbernen Haar (die, wie Simes vermutete, mindestens einhundertundzehn Standardjahre alt sein musste) sogar tatsächlich ein wenig belustigt, dass ihre beiden Besucher so beklommen wirkten.
»Nein, nein!«, hatte sie gesagt und leise gelacht. »Ich habe Sie nicht hierhergebeten, um Sie zu fragen, wo denn nun Ihr erstes Kind bleibt! Offenkundig erwarten wir von Ihnen beiden, dass Sie sich fortpflanzen - deswegen haben wir Sie ja schließlich zusammengeführt! Aber Sie haben noch reichlich Zeit, Ihren Beitrag zum Genom zu
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