Jeremy X
anderen Worten, es ist deutlich intelligenter als die überwiegende Mehrheit der Normalen oder auch ein Großteil unserer anderen Top-Linien. Das kann man kaum als schlechtes Ergebnis bezeichnen, aber es ist natürlich ganz offenkundig nicht das, was wir eigentlich anstreben, denn auch wenn das betreffende Kind ein gewisses Interesse an der Mathematik haben mag, so finden wir doch keinerlei Anzeichen für das Talent, das wir eigentlich zu optimieren versuchen. Oder es ist, wenn es denn überhaupt da ist, bestenfalls partiell entwickelt.
Weniger häufig, aber doch öfter, als uns lieb ist, ergibt sich ein Kind, das sogar unterhalb der Medianlinie unserer Alpha-Linie einzuordnen ist. Viele von ihnen wären für die Gamma-Linie durchaus geeignet, oder auch für die allgemeine Bevölkerung von Mesa, aber es ist nicht einmal ansatzweise das Kaliber, nach dem wir suchen.
Und schließlich«, ihre Miene wurde sehr viel düsterer, »erhalten wir eine relativ kleine Anzahl von Ergebnissen, in denen sämtliche Frühtests darauf schließen lassen, dass das Merkmal, auf das es uns ankommt, tatsächlich vorhanden ist. Es ist da und scheint nur auf uns zu warten. Bedauerlicherweise gibt es aber auch noch einen Instabilitätsfaktor.«
»›Instabilität‹?« Dieses Mal war es an Herlander, die Frage zu stellen, nachdem Fabre erneut eine Pause eingelegt und die Genetikerin nachdrücklich genickt hatte.
»Wir verlieren sie«, sagte sie unumwunden. Die Simes mussten sehr verdutzt dreingeschaut haben, denn wieder verzog die Genetikerin das Gesicht ... noch deutlich unzufriedener als zuvor.
»Die ersten drei oder vier T-Jahre lang entwickeln sie sich prächtig«, fuhr sie mit ihrer Erklärung fort. »Aber dann, irgendwann im fünften Jahr, verlieren wir sie - an eine extreme Abart der Störung, die früher ›Autismus‹ genannt wurde.«
Dieses Mal war es ganz offenkundig, dass keine der beiden jüngeren Personen, die ihr an ihrem Schreibtisch gegenübersaßen, auch nur die geringste Ahnung hatte, wovon sie sprach, denn sie lächelte mit einer gewissen Bitterkeit.
»Es verwundert mich nicht, dass Sie diesen Ausdruck nicht kennen, schließlich ist es schon eine gute Weile her, dass wir uns darüber Sorgen machen mussten, aber ›Autismus‹ ist eine Störung, die sich auf die Fähigkeit auswirkt, sozial zu interagieren. Bei der Bevölkerung von Beowulf war diese Störung bereits schon lange beseitigt, bevor wir nach Mesa aufbrachen. Heutzutage findet sich selbst in der Fachliteratur kaum noch etwas darüber, und noch deutlich weniger in den allgemeineren Informationsquellen. Tatsächlich sind wir uns nicht einmal sicher, dass das, womit wir es hier zu tun haben, damals, in der grauen Vorzeit, tatsächlich als ›Autismus‹ definiert worden wäre. Zum einen manifestiert sich der klassische Autismus gemäß der Literatur, die uns hier zur Verfügung steht - und die ist sehr beschränkt, schließlich ist ein Großteil davon mehr als achthundert Jahre alt - üblicherweise, wenn das Kind etwa drei Jahre alt ist, und ›unsere‹ Form davon tritt erst deutlich später auf. Der Ausbruch scheint auch wesentlich abrupter zu erfolgen als jeder Fall, den wir bislang in der Literatur gefunden haben. Aber Autismus zeigte sich durch Störungen bei sozialer Interaktion und Kommunikation sowie durch eingeschränkte und repetitive Verhaltensmuster, und ganz genau das erleben wir auch hier.
Doch es gibt unseres Erachtens auch einige signifikante Unterschiede - wir reden hier nicht von der gleichen Störung, sondern von einer, die lediglich frappierende Parallelen aufweist. Die Literatur lässt darauf schließen, dass sich Autismus, ebenso wie zahlreiche andere Verhaltensauffälligkeiten auch, in verschiedenen Formen und auch unterschiedlich starker Ausprägung manifestieren kann. Vergleicht man das, was unsere Recherchen über den klassischen Autismus ergeben haben, mit dem, was wir bei den betreffenden Kindern beobachten können, scheinen deren Verhaltensmuster einem extrem ausgeprägten Autismus' zu entsprechen. Eine der Ähnlichkeiten mit extremem Autismus ist, dass bei dieser Form, anders als bei den milderen Ausprägungen und anderen Lernschwierigkeiten, neue Kommunikationsfähigkeiten nicht nur in ihrer Entwicklung eingefroren werden. Sie gehen sogar tatsächlich verloren. Diese Kinder entwickeln sich zurück. Sie verlieren Kommunikationsfähigkeiten, die sie bereits entwickelt hatten, und ihre Fähigkeit, sich auf ihre Umgebung zu
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