Jeremy X
angelegt, und der ALP hatte keinen Grund gesehen, diesen speziellen Charakterzug zu ändern. Trotzdem war Herlander fest davon überzeugt, dass auch jeder unvoreingenommene Beobachter gar nicht anders gekonnt hätte als zu bestätigen, seine Tochter sei das klügste, charmanteste und hübscheste kleine Mädchen, das es jemals gegeben hatte. Es war ganz offensichtlich! Und dass Sie keinerlei direkten genetischen Beitrag zu ihrer Existenz geleistet hatten, bedeutete ebenso offensichtlich, dass er ein objektiver, unvoreingenommener Beobachter war - und das hatte er Harriet gegenüber auch mehr als einmal betont.
Irgendwie war Harriet von der Logik seiner Gedankengänge nicht überzeugt gewesen.
Er wusste, dass sie sich bei der Vorstellung, sie sollten nun Eltern sein, mit einer gewissen Beklommenheit gegenübergestanden hatten, gerade angesichts der Umstände. Er hatte damit gerechnet, es werde ihm schwerfallen, sich auf das Risiko einzulassen, dieses Mädchen wirklich zu lieben, eben weil sie so viel darüber wussten, welche Probleme der Ausschuss mit diesem speziellen Genom hatte. Doch er hatte feststellen müssen, dass er schlichtweg nicht die schiere Schönheit eines Kindes berücksichtigt hatte - seines Kindes, wie auch immer er dazu gekommen war. Und er hatte auch nicht beachtet, welche Auswirkungen es hatte, wenn ein Kind seinen Eltern dieses völlige, unvoreingenommene Vertrauen entgegenbrachte. Als sie das erste Mal an einer der typischen Kinderkrankheiten litt, gegen die nicht einmal die mesanische Top-Linie gänzlich immun war, hatte ihr zorniges Weinen in dem Augenblick aufgehört, als Herlander sie auf den Arm genommen hatte. Völlig entspannt hatte sie sich tragen lassen, sich an ihn gekuschelt und war endlich eingeschlafen. Und in genau diesem Augenblick hatte Herlander Simes gewusst, dass er diesem kleinen Mädchen endgültig verfallen war.
Natürlich hatten sie beide gewusst, dass sie die Liebe spenden und den Nährboden liefern sollten, um Francesca ›durch den Entwicklungsprozess zu führen‹, wie Fabre es ausgedrückt hatte. Sie hatten sich auch darauf vorbereitet, genau das zu tun; doch sie hatten sich nicht darauf vorbereiten können, wie unausweichlich Francesca das alles gemacht hatte. Ihr viertes und fünftes Lebensjahr waren besonders anstrengend gewesen: Es war die Zeit der größten Anspannung, denn dort trat sie in das ein, was Fabre als die ›Phase größter Gefahr‹ bezeichnet hatte - basierend auf allen bisherigen Erfahrungen. Doch Francesca hatte die kritische Schwelle mühelos überwunden, und im Laufe der letzten Jahre bemerkten die Eltern immer wieder, wie die Anspannung weiter und weiter nachließ.
Und doch ... und doch ... Als Herlander Simes alleine in der Küche saß und sich fragte, wo seine Frau und seine Tochter wohl sein mochten, bemerkte er, dass sich die Anspannung eben doch noch nicht ganz gelegt hatte.
Er streckte gerade die Hand nach seinem Com aus, als daraus Harriets persönlicher Klingelton erklang. Mit einer kurzen Fingerbewegung nahm er den Anruf an, und sofort hörte er Harriets Stimme.
»Herlander?«
Irgendetwas stimmt mit ihrem Tonfall nicht, dachte er. Irgendwie klingt sie ... angespannt.
»Ja. Ich bin vor ein paar Minuten nach Hause gekommen. Wo seid ihr denn?«
»Wir sind in der Klinik, Schatz«, erwiderte Harriet.
»In der Klinik?«, wiederholte Simes rasch. »Warum? Stimmt was nicht?«
»Ich weiß nicht, ob irgendetwas nicht stimmt«, erwiderte sie, doch in Herlanders Hinterkopf schrillten mittlerweile zahllose Alarmsirenen. Seine Frau klang, als fürchte sie, in dem Moment, in dem sie zugab, etwas Ernsthaftes könne geschehen, würde es auch sofort passieren.
»Warum bist du dann in der Klinik?«, fragte er sie mit ruhiger Stimme.
»Die haben sich bei mir gemeldet, kaum dass ich Frankie von der Schule abgeholt habe, und sie haben gesagt, ich solle sie vorbeibringen. Anscheinend ... anscheinend haben die bei ihrer letzten Beurteilung ein paar kleinere Anomalien entdeckt.«
Simes' Herz schien einen Schlag lang auszusetzen.
»Was für Anomalien?«, wollte er sofort wissen.
»Nichts, was wirklich weit vom Profil abweichen würde. Dr. Fabre hat sich die Testergebnisse persönlich angeschaut, und sie hat mir versichert, es sei alles innerhalb der üblichen Parameter - bislang, zumindest. Wir ... driften nur ein wenig in die eine Richtung. Deswegen wollte sie, dass ich Frankie vorbeibringe, damit sie eine vollständigere Bewertung durchführen
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