Jericho
Erdboden zu leben. Entweder ist er bei uns oder nirgendwo.«
Plötzlich geriet Bewegung in sie. »Was soll ich? Sterben? Wirklich sterben?«
»So ist es.«
»Nein!« schrie sie. »Nein, das kannst du nicht machen. Ich will nicht sterben, nicht so jung…!«
Ihr Jammern und Flehen war vergeblich. Sie brauchte nur in die Gesichter der anderen zu schauen, um erkennen zu können, was diese Menschen dachten.
Die freuten sich darauf, jemand aus ihrer Mitte ausstoßen zu können. Dabei spielte es keine Rolle, daß diese Person einmal zu ihnen gehört hatte.
Jericho trat noch dicht an die Stäbe heran. Er preßte sein Gesicht dagegen und winkte mit dem Finger. Auch jetzt stand Judith noch unter seinem Bann.
Sie verstand das Zeichen und bewegte sich kriechend auf ihn zu. Sie sah sein Gesicht, sie sah das Grinsen auf den Lippen, aber sie sah noch mehr.
Nur sie konnte dies erkennen, und sie erlebte in den folgenden Sekunden eine furchtbare Offenbarung.
Jerichos Gesicht bestand plötzlich aus mehreren Teilen. Andere Gesichter schoben sich zusammen, schufen wolkenartige Gebilde aus Augen, Mündern und Nasen.
Zehn, zwanzig und noch mehr paßten dort hinein, wirkten stark vergrößert, obwohl das Gesicht in seinen Ausmaßen doch gleichgeblieben war.
Judith begriff nicht, daß Jericho ihr erlaubte, in andere Dimensionen zu schauen und ihr damit auch sein wahres Gesicht präsentierte. Trotz der Furcht und des Abscheus arbeitete Judiths Verstand noch, und sie begriff. Auf einmal wußte sie, wen sie vor sich hatte. Das war kein Prophet, das war kein Engel, das war…
»Du…!« stieß sie hervor. »Du… du bist der Teufel, nicht wahr? Der Teufel?« Ihre Stimme hatte bei den letzten Worten einen hohlen Klang bekommen.
»Vielleicht, kleine Judith, vielleicht. Beim nächstenmal hätte ich dich geschwängert.« Lachend trat er zurück. Von seinen Worten hatten die anderen nichts mitbekommen.
Auch Judith kroch wieder tiefer in den Käfig. Die Hände hatte sie vorgestreckt, als könnte sie damit das Schicksal noch einmal abwehren. Unmöglich, denn Jericho hatte ihren Tod beschlossen. Er winkte zwei seiner Vertrauten zu. »Zieht euch um, dann holt sie raus und schafft sie fort.«
Die beiden verneigten sich, während er sich herumdrehte und zu seinem Haus ging.
Wieder einmal hatte der große König seine Macht bewiesen…
***
Unser Wohnmobil war klimatisiert, und das mußte es bei diesen Temperaturen auch sein. Da hatten wir uns voll und ganz auf unseren Freund Abe Douglas verlassen, der uns auf dem Flug von New York nach Phönix begleitet hatte.
Unterwegs war Zeit genug gewesen, um uns einzuweihen, und so hatten wir zum erstenmal von Jericho erfahren, von einem Mann und einer Stadt in der Wüste, die seinen Namen trug.
Abe ging davon aus, daß es sich bei ihm um einen Dämon handelte, denn auf dem Foto waren nur drei Personen gewesen, die vierte war gar nicht erst aufgenommen worden, und Abe Douglas sah keinen Grund, dem ermordeten Fotografen nicht zu trauen. Im Gegenteil, er hatte von diesem Mann in den höchsten Tönen gesprochen.
»Und was ist Jericho genau?« hatte Suko gefragt und damit in meinem Sinne gesprochen.
»Ich weiß es nicht.«
»Gibt es keine Unterlagen?«
»Nein, nur Gerüchte.«
»Um die sich niemand kümmerte.«
»So ist es.«
»God bless America«, murmelte ich.
»Was willst du, John? Wir haben hier die freie Gesellschaft. Hier kann sich jeder frei entfalten.«
»Ich sage ja nichts. Ich dachte nur gerade an den Klan-Fall, den wir zusammen durchgezogen haben. Da sahen wir eine andere Seite des großen Amerikas.«
»Auswüchse gibt es immer.«
Ich kam auf die drei anderen Personen zu sprechen, die das Foto gezeigt hatte. Abe Douglas glaubte nach wie vor nicht, daß sie etwas mit den magischen Fähigkeiten Jerichos zu tun hatten.
»Warum dann das Treffen?«
»Frag mich was Leichteres, ich habe keine Ahnung. Vielleicht wollte er umsteigen.«
»Eher einsteigen«, grummelte Suko.
Abe Douglas ärgerte sich selbst darüber, daß er kaum Informationen über Jericho hatte beschaffen können. Das aber sollte sich ändern, wenn wir am Ziel waren.
Zuvor aber mußten wir fahren. Das hieß im einzelnen: hindurchrollen durch eine Landschaft, die ich aus zahlreichen Western-Filmen kannte. Viel Sonne, viel Wüste, viel Staub und Berge. Tafelberge oder kantige massige, die in der Ferne im Sonnenlicht verschiedenfarbig glänzten und die weiten Ebenen begrenzten.
Der Highway ließ sich nicht begrenzen. Er
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