Jericho
Jericho hieß.
Ein grauenhafter, brutaler Mörder, der sich unter der Maske des Wohltäters und Propheten versteckte. Ihr war es aufgefallen, anderen sicherlich auch, nur hatte niemand gewagt, sich gegen ihn zu stellen. Die Menschen hingen zu sehr an ihrem Leben.
Der Boden der Ladefläche bestand zwar aus Holz, trotzdem waren über die Holzbalken Metallplatten genietet worden. Die durch die Stäbe scheinende Sonne heizte das Blech dermaßen stark auf, daß man Eier auf ihm hätte braten können.
Für einen Menschen wurde diese Unterlage zu einer wahren Höllenqual. Er konnte sich nicht dagegen wehren, er mußte die Hitze aushalten, wie auch Judith, die durch die Schaukelei von einer Seite zur anderen gedrückt wurde und sich auch nicht festhielt, denn selbst die Eisenstäbe waren ihr zu heiß.
Durch die Reifen entstanden rötlichbraun schimmernde Staubwolken, die für Überfälle die Lücken zwischen den Stäben nutzten. Judith empfand den Staub als schlimm, er raubte ihr den Atem. Sie konnte nicht viel von der menschenfeindlichen Gegend erkennen, von einem Land, das einmal den Apachen gehört hatte, und sie fragte sich, wie es Menschen überhaupt geschafft hatten, in diesem Gebiet zu überleben.
Sie hätte das nicht gekonnt.
Der Wagen rumpelte weiter. Judith merkte, daß der Weg bergauf führte. Nicht sehr steil, dafür stetig. Und sie wußte auch, daß auf der Höhe die Felsen standen, ein wuchtiges Bollwerk vor den eigentlichen Bergen. Wie lange es noch dauerte, wußte sie nicht. Jedenfalls lechzte jede Pore ihres Körpers nach Wasser. Der Mund war so ausgetrocknet, daß sie ihn schon als Wüste bezeichnen konnte. Sie hätte es nicht einmal geschafft, ein paar Worte zu sagen.
Selbst das breitbeinige Hinsetzen nutzte nicht viel. Die Schaukelei konnte sie nicht ausgleichen. Bei jeder Unebenheit wurde sie von einer Seite zur anderen geschleudert, und immer wieder prallte sie mit dem Rücken gegen die Stäbe.
Der Kopf schmerzte. Jeden Stoß spürte sie bis unter die Schädeldecke, wo er explodierte. Hin und wieder drang ein Stöhnen aus ihrem Mund oder ein leiser Wehlaut, wenn sie über das heiße Blech rollte. Die beiden Engel kannten kein Pardon. Sie fuhren weiter, sie prügelten das Fahrzeug durch die Landschaft. Es war dafür geschaffen und an bestimmten Stellen verengt worden.
Die Kurven besaßen nicht mehr die Breite. Je höher sie kamen, um so mehr verengten sie sich. Hin und wieder verschwand der Glutball der Sonne hinter einer Felsmauer. Kühlung bedeutete das kaum. Judith hielt sich jetzt am Gitter fest. Um sich nicht die Hand zu verbrennen, hatte sie Kleiderstoff um einen Stab gewickelt. So klappte es einigermaßen.
Aber auch diese Kraft erlahmte. Es war einfach zu viel für sie. Irgendwann fiel sie in einen Zustand zwischen Schlaf und Wachsein. Plötzlich waren die Probleme weit, weit weg. Sie sah nichts mehr, sie vegetierte nur noch dahin.
Das allerdings änderte sich irgendwann. Zuerst wußte sie nicht, weshalb dieser Zustand verschwand und sie allmählich wieder in die Wirklichkeit hineintauchte. Sie hatte sogar geträumt, was, konnte sie nicht sagen, aber die Realität traf sie, als sie ihre Augen öffnete und über sich das Gitterdach sah.
Schlagartig setzte die Erinnerung ein und das Wissen darum, den nächsten Tag wahrscheinlich nicht mehr erleben zu können. Die Angst war wie ein Messer, das sich in ihre Brust bohrte. Sie spürte den Schweiß auf der Stirn. Das Herz raste plötzlich. Seine Schläge hörte sie bis in den Kopf.
Aber sie hörte etwas anderes.
Das Knirschen, das Schleifen, ihre Schritte, die sich vom Fahrerhaus näherten und sich in Richtung Ladefläche bewegten. Jetzt kamen sie, und sie würden das Ende einläuten.
Vor dem hinteren Gitter blieben sie stehen. Judith wußte, daß es gleichzeitig als Tür diente und ein Schloß besaß, zu dem nur ein bestimmter Schlüssel paßte.
Judith hatte als Kind oft in Bilderbücher geschaut, wo auch Engel abgebildet waren. Sie hatte diese als sehr schöne Wesen in langen Gewändern in Erinnerung. Mit feinen Gesichtern und lockigen Haaren. Die ›Engel‹ aus den Bilderbüchern hatten mit denen, die vor ihr standen, nichts gemein, denn es waren düstere Todesboten. Das begann schon bei ihrer Kleidung, diesen dunklen breiten Gewändern. Die Gesichter zeigten eine blasse Puderschicht, als sollte die eigentliche Haut nicht gesehen werden.
Judith wußte auch, was man sich im Lager über sie erzählte. Die Leibwächter Jerichos sollten
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