Jericho
begreifen.
Ja, ich begriff, denn die Engel hatten ihre Arme angehoben und hielten etwas Langes, Glänzendes in den Händen.
Posaunen? Trompeten?
Es waren Trompeten, und damit erfüllte sich die Geschichte gewissermaßen ein zweites Mal. Die Trompeten von Jericho!
Ich war so aufgeregt, daß ich nicht ruhig stehenbleiben konnte, stieß Suko an und flüsterte immer wieder den Satz, der diesen Begriff ausdrückte.
Vier Erzengel waren erschienen, um ihr Zeichen zu hinterlassen. Zugleich führten sie die Mundstücke ihrer Trompeten an die Lippen und blieben auf den langestreckten hellen Schatten bahnen meines Kreuzes stehen wie angenietet.
Dann bliesen sie.
Sie waren Geistwesen. Ich hatte eigentlich nicht voll damit gerechnet, daß ich den Klang der Instrumente hören konnte. Aber die Töne schmetterten in unsere Ohren und bildeten eine schrille Endzeitmusik. Nicht für uns, sondern für Jericho.
Die Stadt erzitterte. Der Boden unter unseren Füßen vibrierte, als würde er in jeder Sekunde von Hunderten von Hammerschlägen getroffen. Dann verschwand das Dach, als hätte es der Klang dieser Trompeten einfach weggeblasen.
Und plötzlich kippten die Wände. Sie bekamen nicht einmal Risse; sie fielen zusammen, als wären sie von einem Windstoß erwischt worden. Und es entstand kein Geräusch, nur der Klang dieser himmlischen Trompeten begleitete den Untergang von Jericho.
Aber nicht unser Haus brach zusammen. Wir bekamen freie Sicht und sahen mitan, daß auch dieanderen Wände zusammensanken, ohne auch dabei nur einen der Schläfer zu verletzen.
Nicht einmal ein Rieseln war zu hören, die Stadt in der Wüste starb lautlos.
Wir sahen die Menschen in ihren Betten liegen. Männer, Frauen und Kinder, wobei manche Familien zusammen schliefen und in die tiefen Träume gefallen waren.
Auf der Straße vor dem Haus standen Suko, Abe Douglas und Judith Hill wie angewachsen und schauten zu, was um sie herum vorging. Auch sie wurden nicht verletzt, denn die Fngel zerstörten zwar, aber sie töteten nicht, das allein zählte.
Dann war der Spuk vorbei.
Die geschlechtslosen Geistwesen verschwanden ebenso lautlos, wie sie erschienen waren. Das Licht des Kreuzes sank zusammen und konzentrierte sich wieder auf meinen Talisman, der so aussah, als wäre nichts geschehen.
Suko schlug mir auf die Schultern. »Bravo, John, hervorragend, gratuliere.«
»Nein, ich gratuliere dir. Du hast mir den Tip gegeben. Aber wo steckt Jericho, der falsche Prophet?«
Suko hob die Schultern. »Der ist ebenfalls verschwunden, glaube es mir.«
»Nein!« rief ich. »Das ist er nicht.« Ich streckte den Arm aus und wies nach vorn.
Genau dort, wo die Trümmer ineinandergefallen waren, wuchs ein Schatten-und Rauchpilz aus dem Boden hervor. Er stieg in die von den roten Strahlen der Sonne durchdringende Luft, breitete sich zu einer Wolke aus, und wir hielten den Atem an.
Diese Wolke kam uns bekannt vor. Wir hatten sie schon einmal gesehen. Und wieder erschienen in ihr die furchtbaren Gesichter, die so verzerrt und teigig aussahen.
Diesmal leuchteten sie in grellen gelbroten Farben. Sie überschwemmten den Himmel und standen wie ein Zerrbild des Schreckens.
Hinter mir hörte ich Chato wütend schreien. Er stieß dabei beide Arme in die Luft und verfluchte den Dämon Kajuata.
Die Wolke blieb, die Gesichter bewegten sich und erinnerten mich manchmal an diejenigen, die des öfteren von Zerrspiegeln widergegeben wurden.
»Er ist nicht tot. Der Verfluchte ist nicht tot!« keuchte Chato. »Man kann ihn so nicht vernichten. Man muß in die Träume der Menschen und ihn dort stellen. Es gibt jemand, der das kann, es ist der Schattenkrieger. So haben es die alten Legenden gesagt. Ihn müssen wir finden. Nur den Schattenkrieger…!« Seine Stimme versagte. Er fiel auf die Knie, die Arme gereckt, und in seinen Augen schimmerten die Tränen der Verzweiflung.
Hatte er recht? Irrte er sich?
Eine Antwort darauf bekamen wir nicht, denn die Gesichter lösten sich urplötzlich auf, als von irgendwoherein gewaltiger Sturmwirbel heranbrauste.
Blank lag der Himmel vor uns. Nur vergoldet durch die Strahlen der sinkenden Wüstensonne.
Trotz Chatos Warnungen fühlten wir uns gut, denn keiner der Menschen war getötet worden.
Dazu konnten wir uns gratulieren…
***
Um die Bewohner von Jericho kümmerte sich Judith Hill. Sie hatte auch Abe Douglas verbunden, dessen Gesicht schon dem einer Mumie glich und der sich darüber beschwerte, daß es ausgerechnet immer ihn
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