Jerry Cotton - 0504 - Der Tiger

zum Teufel, kommen Sie überhaupt ’rein?« stieß er hervor.
    Ich warf einen flüchtigen Blick auf Patricia King. Sie saß wie erstarrt auf ihrem Platz und schaute wie ein Kaninchen vor der Schlange unentwegt Brockley an. Sie schien unter dem Eindruck zu stehen, Jeff sei plötzlich in einer jüngeren Ausgabe wiedererstanden.
    Brockley grinste. Er hatte eigenartige Augen von einem verwaschen wirkenden Grau, die gleichen Augen, die auch Jeff gehabt hatte. »Der Halbstarke an der Tür machte mir einige Schwierigkeiten«, sagte er spöttisch. »Inzwischen hat er sich wohl anders besonnen!«
    Slim schluckte, wandte den Kopf und sah mich an, staunend und offenbar ratlos. Er war nicht der einzige, der seine Aufmerksamkeit auf mich konzentrierte. Alle erwarteten von mir ein klärendes Wort. Ich war der gewählte Boß. Daß ich die neue »Würde« zu Recht trug, mußte ich jetzt beweisen.
    »Sie kommen reichlich spät, mein Freund«, sagte ich und verzog spöttisch die Lippen. »Natürlich ist keiner von uns überrascht, daß jemand diese Tour versucht, aber…«
    »Wieso gibt es zwei Arthur Brockleys?« unterbrach er mich scharf. »Demnach sind Sie der andere?«
    »Nicht der andere«, sagte ich sanft. »Der einzige, den es gibt. Jeffs Bruder!«
    »Ich verstehe«, höhnte er. »Selbstverständlich können Sie sich ausweisen!«
    »Sonst stände ich wohl kaum hier. Mein Paß ist okay. Das bedeutet allerdings nicht, daß Sie ihn zu Gesicht bekommen werden. Schwindler kriegen von uns keine Papiere, sondern die Läufe einiger Pistolen zu sehen!«
    Keiner »meiner« Männer am Tisch rührte sich. Da wußte ich auf einmal, daß ich wie Don Quichotte gegen Windmühlenflügel kämpfte. Es war zu offensichtlich, daß der Besucher ein Brockley war. In diesem Punkt konnte ich mit ihm nicht konkurrieren.
    Obwohl das keineswegs bedeutete, daß sie ihn als neuen Boß installieren würden, wurde allen in diesem Moment klar: sie hatten einen Schwindler zu ihrem Chef gemacht. Bis jetzt hatten sie sich meiner Energie und der Überzeugungskraft des Bluffs gebeugt, aber Arthur Brockleys Auftauchen wischte meine Vorarbeit wie mit einer Handbewegung aus der Welt.
    In den Gangstern wurde sofort wieder die instinktive Abneigung wach, die sie von Anbeginn gegen mich empfunden hatten- Ihr Ganovengefühl sagte ihnen, daß ich nicht zu ihnen gehörte, und plötzlich erinnerten sie sich auch wieder an den Zorn und an den Haß, die ich während der Auseinandersetzung im Hunting Park Theater in ihnen entfesselt hatte.
    Hinzu kam die dumpfe Wut, von mir hereingelegt worden zu sein. Klar, daß sie nach Rache und Vergeltung dürsteten. Es fehlte nur noch der zündende Funke, um die Explosion perfekt zu machen.
    Brockley zog das Jackett aus. Er krempelte einen Ärmel hoch. Auf dem Oberarm waren drei Narben zu sehen. Man mußte ’ genau hinblicken, um sie zu erkennen, daß es sich um drei eingeritzte Bs handelte… aber es war ebenso genau zu sehen, daß es alte Narben waren, fraglos echt und nicht vor einigen Stunden oder Tagen nachgemacht.
    »Genügt euch das?« fragte er herablassend. Dann zog er ein Bündel Briefe aus der Tasche. Er warf sie auf den Tisch. »Da… Jeffs Briefe! Seht sie euch an. Seine Handschrift werdet ihr doch wohl noch kennen, was?«
    Einige der Männer, allen voran Howard Sli'm, schnappen sich je einen der Briefe. Patricia King starrte mir ins Gesicht, ganz kurz nur, nicht einmal feindselig, doch schon so, als wäre ich für sie ein Stück Vergangenheit, bereits ein toter Mann.
    Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Arthur Brockley zu.
    Brockley starrte mich an, mit dem Grinsen des Siegers. »Arthur Brockley!« spottete er. »Daß ich nicht lache!« Er trat an den Tisch und stützte sich mit beiden Händen auf die massive Platte.
    »Ich habe sofort die nächste Maschine genommen, als ich von Jeffs Tod in der Zeitung las. Ich bin nicht hier, um Ansprüche auf seinen Job anzumelden. Der hat mich nie interessiert. Aber er war mein Bruder, und auf mein Efbteil hab’ ich ein Anrecht!«
    Das war Musik in Slims Ohren. Ich war als Betrüger demaskiert, und der echte Arthur Brockley pfiff darauf, der neue Chef zu sein. Damit war für ihn, Slim Howard, endgültig der Weg frei.
    Brockley sprach weiter. Die Gangster lauschten seinen Worten. Die erwartete Explosion wurde um einige Sekunden hinausgezögert. Da sie hören wollten, was er zu sagen hatte, verblieb mir eine winzige Galgenfrist. Worte konnten mir nicht weiterhelfen. Die Würfel