Jerry Cotton - 0522 - Das Maedchen mit dem Killerblick
benachrichtigen.
Er hatte gewartet, bis sie das Dach des Eckhauses erreicht hatten. Der Rückweg war ohne Unterstützung nicht möglich. Jesse.wußte, daß zwei Treppen vom Dach ins Innere des Hauses führten, aber er hatte sie nie benutzt, und er wußte nicht, ob die Zugänge verriegelt waren.
Rathgill wechselte die Tonart. »Nimm Vernunft an, mein Junge!« rief er. »Du rennst in dein Unglück, und du reißt deine Schwester mit! Der Boß ist nicht kleinlich. Wenn du mit uns arbeitest, kannst du ein paar tausend Dollar verdienen.«
Er bewegte sich vorwärts. Jesse konnte hören, daß er den Kamin, hinter dem er sich verbarg, im nächsten Augenblick passieren mußte.
Mit vier, fünf großen Sprüngen erreichte er die Tür, die zur Treppe führte. Rathgill hörte ihn, fuhr herum, und der Lichtkegel der Taschenlampe erwischte Jesse, als er die Türklinke faßte. Er warf sich gegen die Tür. Sie war von der Innenseite verriegelt und gab nicht nach.
Rathgill stürzte sich auf ihn. Jesse warf sich herum und tauchte unter seinem Griff weg. Er trat den Gangster wuchtig vor das linke Knie. Rathgill röhrte auf und schlug mit der Hand, in der er die Stablampe hielt, zu. Der Hieb verfehlte den Jungen. Die Lampe krachte gegen den gemauerten Aufbau, in den die Tür eingelassen war. Das Glas zersplitterte. Die Lampe erlosch. Jesse ließ sich fallen und rollte aus Rathgills Reichweite.
Er legte die Hände an den Mund und rief laut: »Hilfe! Hilfe!«
***
Ich steuerte den Jaguar mit einer Hand, obwohl mein Schlitten mit mehr als mittelprächtiger Fahrt durch New Yorks Straßen zischte.
»Cotton an FBI — Hauptquartier! Unterrichten Sie mich über getroffene Maßnahmen!«
Rexley, der an diesem Abend unser Einsatzleiter war, meldete sich: »Erste Streifenwagen der City Police zur Absperrung des Häuserblocks Canal Street, 141. Straße, Morris Avenue und 142. Straße unterwegs. Phil Decker wurde benachrichtigt, hat Einsatz auf der West-Side abgebrochen und rast zur Bronx. City Police hat zwei Senderfahrzeuge mit Scheinwerferausrüstung in die 141. Straße geschickt.«
»Danke, Rex! Halt mich auf dem laufenden. Ich lasse die Verbindung bestehen.« Ich hängte den Hörer ein und schaltete auf Lautsprecher um. Dann legte ich auch die zweite Hand ans Steuer und trat den Gashebel bis zum Anschlag durch.
***
Als der Hilferuf Jesses über das Dach wehte, riß Rathgill den Colt aus der Tasche. »Bist du übergeschnappt!« zischte er.
»Hilfe!« schrie Giosa. »Wir sind auf dem Dach! Hilfe!«
Rathgill stürzte in die Dunkelheit hinein. Er prallte gegen eine Fernsehantenne. Zwei- oder dreimal drehte er sich um die eigene Achse, als er versuchte, die Richtung zu finden, in der Giosa noch immer um Hilfe rief. Plötzlich stand er am Rand des Daches. Unter sich sah er die Lichtpunkte der Straßenlaternen und die Lichtspuren von einigen Autoscheinwerfern. Entsetzt warf er sich zurück. Er stürzte auf den Rücken, drehte sich und kroch auf Händen und Knien aus der Nähe des Dachrandes.
»Hier oben!« schrie Jesse. »Wir sind hier oben! Ein Gangster jagt mich!« Rathgill stand auf. Er torkelte. »Ich bring dich um!« knirschte er, aber in Wahrheit begann er daran zu denken, wie er sich in Sicherheit bringen konnte. Das Dach war groß wie ein Fußballplatz. Der Gangster hatte längst die Orientierung verloren. Zwar konnte er das Steildach, über das sie gekommen waren, gegen den Himmel erkennen, und die Aufbauten zeichneten sich ebenfalls als Schattenrisse ab, aber das alles bedeutete für Rathgill keinen Ausweg.
Von unten schossen Lichtbündel in den Nachthimmel. Wie weiße Riesenfinger tasteten sie den Dachrand des Eckhauses ab. »Hier!« rief Jesse Giosa. Er stand nahe am Dachrand und fuchtelte mit beiden Armen. Seine Gestalt zeichnete sich scharf wie ein Scherenschnitt gegen den Lichtkegel der Scheinwerfer ab.
***
Ich sah die Strahlen der Scheinwerfer, als ich den Jaguar in die 141. Straße hineinsteuerte. Zwei, drei Streifenwagen der City Police sperrten die Fahrbahn. Ich stieg auf die Bremse und brachte den Jaguar gerade noch zum Stehen. Mit einem Satz sprang ich aus dem Wagen.
»Sie sind auf dem Dach des Eckhauses!« rief einer der Polizisten und streckte den Arm aus.
Eine Menge Neugieriger hatte sich angesammelt. Sie sperrten Straße und Fahrbahn, und die Cops waren noch nicht mit ihnen fertig geworden. Ich kämpfte mich durch die Menge. »FBI!« schrie ich einem Polizisten entgegen, der mich aufhalten wollte. Er gab den
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