Jerry Cotton - 0555 - Der Moerderboss von Honolulu
Abzugs. Zwischen dem Mann und mir war ein Abstand von höchstens anderthalb Yard. Ich starrte in die Waffenmündung und blickte dann mein Gegenüber an. Der schmale Streifen zwischen seiner Hutkrempe und der Maske gab dunkle, tückisch funkelnde Augen frei. Sie waren nicht sehr groß und standen eng beieinander. Und sie wirkten seltsam nackt und häßlich. Sie wurden nur von wenigen, auffallend kurzen Wimpern eingerahmt. Die Maske bestand aus einem im Nacken verknoteten dunkelblauen Seidentuch, vermutlich einem Damenschal.
Stimme, Figur und Haltung des Mannes ließen mich vermuten, daß sein Alter zwischen dreißig und fünfunddreißig lag. Er sah reichlich komisch aus, denn seine Blue jeans und der hochgeschlossene hellblaue Pulli wollten nicht zu dem weichen Stetsonhut passen, der ziemlich neu wirkte und mindestens dreißig Bucks gekostet haben durfte. Möglicherweise diente der Hut nur zur Abrundung der Maskierung.
»Treten Sie ein, Mister«, höhnte er und machte mir Platz. »Es wird Ihnen hier gefallen.«
Ich schob mich zögernd über die Schwelle. Ein paar Stufen führten von dem Vorraum in die quadratische Diele. Ein Barockspiegel mit geschnitztem vergoldetem Rahmen und eine Reihe ähnlicher, geschickt arrangierter Antiquitäten machten deutlich, daß man im Hause Benson die gehobene Wohnkultur schätzte.
»Verschränken Sie die Hände im Nacken und gehen Sie voran«, befahl der Maskierte.
Ich gehorchte, wenn auch nicht übertrieben schnell. Die Haustür fiel leise hinter mir ins Schloß. Als ich die zwei Stufen erreichte, die den Vorraum mit der Diele verbanden, hörte ich hinter mir ein Geräusch. Es war knapp und scharf, als sause eine Gerte durch die Luft. Kein Zweifel: Mein Gegner hatte eine dieser Stahlruten aus seinen Blue jeans gezogen, die als Totschläger verwendet werden und deren federndes Ende im allgemeinen eine lederverkleidete Bleikugel bildet.
Instinktiv riß ich den Kopf zur Seite, um die Schlagwirkung abzuschwächen. Die Bleikugel traf meinen linken Oberarm. Ein scharfer, stechender Schmerz durchzuckte mich bis in die äußersten Nervenenden. Ich wollte mich umdrehen, um der nächsten Attacke besser begegnen zu können, aber in diesem Moment erwischte mich die Kugel voll am Kopf.
Ich brach in die Knie. Die Konturen meiner Umgebung begannen sich in Wellenlinien aufzulösen. Ein weiterer Schlag traf mich. Ich kippte mit dem Oberkörper nach vorn und spürte, wie mein Bewußtsein auf Tauchstation ging.
Ich erwachte von den Klängen eines Weihnachtsliedes. Aus irgendeinem Lautsprecher ertönte »Stille Nacht, heilige Nacht«. Wenn man berücksichtigte, daß ich noch immer die Engel singen hörte, war es zweifellos eine angemessene Begleitung, andererseits war es grotesk, dieses Lied zu spielen, während draußen ein sonniger August kochte.
Ich kam auf die Beine und wankte in die Küche. Es war kein Problem, sie ausfindig zu machen, denn der Korridor, der von der Diele abbog, führte in die Wirtschaftsräume. Ich hielt den Kopf unter die Kaltwasserleitung und spülte mir dann den Mund aus. Danach fühlte ich mich wesentlich besser. Vorsichtig befingerte ich die imponierende Schwellung unter meinem Kopfhaar. Das Weihnachtslied war noch immer zu hören.
Ich folgte den feierlichen Klängen und geriet in das große Wohnzimmer, dessen breite Fensterwand einen Blick auf die Bucht und die Golden-Gate-Brücke erlaubte.
Ich war nicht in der Stimmung, den Anblick zu genießen, denn die im Zimmer herrschende Unordnung beanspruchte meine volle Aufmerksamkeit. Schubladen lagen auf dem Boden. Schränke waren geöffnet. Ihr Inhalt war über die Teppiche verstreut. Die Musik kam aus dem Plattenspieler. Ich stellte ihn ab.
In diesem Moment hörte ich das leise Stöhnen.
Mir fielen die tausend Dollar ein, die ich von Mr. Carter erhalten hatte. Ich holte die Brieftasche heraus und registrierte verdutzt, daß das Geld noch da war. Verschwunden war hingegen mein Smith-and-Wesson-Revolver.
Ich schob die Brieftasche zurück und trabte auf die angelehnte Tür zu, die das Wohnzimmer mit einem Nebenraum verband. Ich stieß die Tür mit dem Fuß zurück und sah eine junge Frau.
Sie lag vor einem Empiresofa, das zu einem kleinen Salon gehörte, auf dem Teppich. Gefesselt und geknebelt. Ich kniete mich neben sie auf den Boden und löste mit fliegenden Fingern die Knoten. Als ich ihr den Knebel aus dem Mund nahm, begann die Ärmste zu schluchzen.
Ich hob sie auf und setzte sie auf das Empiresofa. Ich blickte
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