Jerry Cotton - 0572 - Mit 1000 PS ins Jenseits
bei jeder Bewegung leise klirrten und klimperten.
Das Girl hatte rotgeweinte Augen. Trotzdem war zu erkennen, daß die Kleine ungewöhnlich hübsch war. Die hochangesetzten Jochbeine verrieten ebensoviel Rasse wie die großen langbewimperten Augen.
»Ich bin Jerry Cotton«, sagte ich. »Wo steckt Bert?«
Ich sah auf den ersten Blick, daß es in dem Zimmer eine Prügelei gegeben hatte. Zwei Stühle waren umgefallen, eine Bodenvase lag in Scherben auf dem Parkett, und einige Teppiche waren verrutscht. Die Tür zum Bad stand halb offen.
»Er ist ’rausgegangen — gerade eben«, antwortete das Girl und warf mit einer trotzig anmutenden Bewegung das seidig schimmernde Blondhaar in den Nacken; sie trug es schulterlang.
Ich wußte nicht, ob sie mich anschwindelte. Andererseits konnte sie nicht die Kraft besessen haben, den Mann aus dem Zimmer zu werfen. Ich blickte ins Bad. Es war leer. Aus dem Kaltwasserhahn lief ein dünnes Rinnsal.
Es gab nur eine Erklärung. Bert war zum Lift gegangen, als ich mit dem blutenden Mann im Treppenhaus gespro-:hen hatte.
»Wann erwarten Sie Bert zurück?« Eragte ich.
Die vollen Lippen des Mädchens krümmten sich bitter. »Wenn er so weitermacht, sehe ich ihn eines Tages überhaupt nicht wieder«, meinte sie.
Ich stellte die beiden Stühle auf. »Warum haben sich die beiden geschlagen?« wollte ich wissen.
Das Girl erhob sich. Sie trat an eine Wandkonsole und klaubte sich eine Zigarette aus einem daraufliegenden Päckchen. Als sie sich die Zigarette ansteckte, wandte sie mir den Rücken zu. Das gab mir Gelegenheit, die untadelige Linie ihrer langen, schlanken Beine zu bewundern.
Es gab noch einige andere Dinge, die ich rasch registrierte. Wir befanden uns in einem Einzelzimmer, aber im Bad lag allerlei Make-up herum. Kein Zweifel: Das Mädchen war mit Bert eng befreundet. Da die beiden nicht verheiratet waren, hatte sie zum Schein ein anderes Zimmer belegt — aber die meiste Zeit verbrachte sie in Berts Nähe.
»Ich weiß nicht, was mit ihm los ist«, klagte das Girl, ohne sich umzuwenden. »Es ist, als wollte er sich mit der ganzen Welt verfeinden.«
»Aus welchem Grund?«
Das Girl drehte sich um. »Sind Sie ein Freund von Bert?«
»Das bilde ich mir ein — aber vorhin hat er mich nicht gerade nett behandelt. Er forderte mich auf, aus Indianapolis zu verschwinden. Haben Sie eine Erklärung dafür?«
Das Girl klaubte sich einen Tabakkrümel von der Unterlippe.
»Seit ein paar Monaten erzählt er mir nur noch das Notwendigste«, sagte sie. »Wahrscheinlich meint er, daß er mich auf diese Weise schützen und aus der Geschichte ’raushalten kann…«
»Aus welcher Geschichte?«
»Das fragen Sie ihn am besten selbst.«
»Hat er heute getrunken?«
Die Augen des Girls rundeten sich verblüfft. »Bert? Vor einem Rennen? Das kommt für ihn nicht in Frage!«
»Mit wem hat er sich geprügelt?«
»Ich kenne den Burschen nicht«, sagte das Girl ausweichend. »Er nannte sich Hutchinson.«
»Glauben Sie, daß der Name falsch war?«
»Es sollte mich nicht wundern. Ein unsympathischer Kerl! Bert hätte ihn beinahe in Stücke gerissen.«
Ich wurde ungeduldig. »Sie waren doch dabei, als es zu der Auseinandersetzung kam. Sie müssen wissen, was Hutchinson wollte und weshalb Bert ihn attackierte.«
»Sie fragen zuviel«, meinte das Girl und hob das Kinn. »Ich kann und darf Ihnen nicht antworten. Warten Sie, bis Bert zurückkommt.«
»Darf ich wenigstens Ihren Namen erfahren?« '
»Ich bin Berts Verlobte und heiße May Svensson«, antwortete das Girl.
Ich suchte nach ein paar passenden Worten, dann sagte ich fest: »Ich schätze Bert. Ich betrachte ihn als meinen Freund. Ich fühle, daß er Schwierigkeiten hat. Ich möchte ihm helfen. Sie müssen mich dabei unterstützen, denn ich habe keine Ahnung, was ihn bedrückt.«
»Bedrückt!« murmelte das Mädchen. Plötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen. »Bedrückt!« wiederholte May Svensson noch einmal und setzte sich wieder auf das Bett. »Wenn es bloß das wäre! Aber es ist viel schlimmer. Bert schwebt in Gefahr. Ich spüre es. Bert ist ein Trotzkopf. Er kämpft um sein Recht — und um das seiner Freunde. Ja, verrückterweise lädt er sich auch noch die Verantwortung für andere auf. Als ob die es ihm jemals danken würden!«
»Können Sie nicht deutlicher werden?«
»Ich habe schon zuviel gesagt«, erklärte die Blonde. »Gehen Sie jetzt, bitte.«
Ich richtete noch einige Fragen an das Mädchen, aber alles,
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