Jerry Cotton - 0572 - Mit 1000 PS ins Jenseits
Etage fuhr. Unterwegs fiel es mir ein, daß ich May Svenssons Zimmernummer nicht wußte, aber ich vermutete das Girl ohnehin in Berts Zimmer.
Ich stoppte vor der Tür mit der goldenen 89. Ich hörte, daß im Inneren des Raumes ein Radio spielte. Tanzmusik. May Svensson schien zu dieser Stunde und in dieser Stadt so ungefähr die einzige zu sein, die sich nicht für das Rennen interessierte. Dabei war sie mit einem der bekanntesten Fahrer des Landes verlobt…
Ich verzichtete diesmal darauf anzuklopfen. Das Radio im Zimmer spielte so -laut, daß das Girl meinen Eintritt weder hörte noch gleich bemerkte.
May Svensson befand sich in der Mitte des Raumes. Sie wandte mir ihren Rücken zu und tanzte mit wiegenden, selbstvergessenen Bewegungen. Die nackten Arme hatte sie hoch über das schimmernde Blondhaar gehoben.
Ich drückte die Tür leise hinter mir ins Schloß. Einigermaßen verdutzt beobachtete ich Mays private Show. Das Girl trug heute einen Minirock aus silbernem Leder mit einem ärmellosen, eng anliegenden Rippenpulli aus mokkabraunem Material. Obwohl ich Mays Gesicht nicht sah, wirkte sie auf mich jünger und weiblicher als am Vorabend.
Nun, Bert Steeple hatte sich schon immer auf Kurven verstanden — nicht nur im Rennen. Nur heute hatte er versagt. Ich fragte mich, ob dieses Versagen mit dem Girl zusammenhing.
Wie brachte sie es nur fertig zu tanzen, während ihr Verlobter im Krankenhaus mit dem Tode rang?
»Hallo«, sagte ich härter und direkter, als ich es vorgehabt hatte. »Was treiben Sie hier? Ist das die Probe für einen Totentanz?«
***
May Svensson wirbelte herum. Sie starrte mich an, mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund. Dann strich sie sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Mein Gott, haben Sie mich erschreckt«, murmelte sie. »Können Sie nicht anklopfen?«
»Das Radio spielte so laut«, sagte ich und ging auf den Apparat zu. Ich stellte ihn ab und wandte mich wieder dem Girl zu. »Wissen Sie schon, wie es ihm geht?«
May Svensson setzte sich auf einen Stuhl. Es geschah ziemlich abrupt, als hätte ihr jemand die Beine unter dem Körper weggerissen. Ich sah die plötzliche Furcht in ihren Augen und erkannte, daß irgend etwas an meinem vorschnellen Urteil nicht stimmen konnte.
»Ist es wegen Bert?« stieß sie hervor. »Ist — ist ihm etwas passiert?«
»Wenn Sie sich für ihn und das Rennen interessierten, wüßten Sie längst darüber Bescheid.«
May sprang hoch. Sie kam auf mich zu. Ich sah, daß sie zitterte. Falls sie schauspielerte, machte sie ihre Sache verdammt gut. Sie erfaßte mit den Händen meine Oberarme und krampfte sich daran fest. Ich glaubte schon, sie wollte mich schütteln, aber sie fragte nur: »Was ist geschehen? Sagen Sie es mir, bitte! Spannen Sie mich nicht auf die Folter.«
»Er ist verunglückt und liegt im St.-Martins-Hospital«, sagte ich.
May ließ mich los. Sie setzte sich wieder und schlug die Hände vor das Gesicht. Ihre Schultern zuckten. Die Hände und ihr Gesicht wurden von dem Vorhang ihres blonden Haares verborgen. May weinte lautlos. Plötzlich ließ sie die Hände fallen. Mit einem Ruck warf sie das Haar in den Nacken.
»Ich wußte, daß es so kommen würde«, sagte sie mit tonlos klingender Stimme. »Jeder ist einmal dran. Es ist ihr Schicksal.«
»Warum sind Sie nicht zum Rennen gegangen?« wollte ich von ihr wissen.
»Ich muß zu ihm«, sagte sie und stand auf.
»Sie dürfen ihn jetzt nicht besuchen«, erklärte ich ihr. »Man würde Sie gar nicht zu ihm lassen.«
May ließ sich nicht beirren. Sie ging zur Tür und griff nach der Handtasche, die auf der Telefonkonsole stand. »Ich muß in seiner Nähe sein«, murmelte sie.
»Ich bringe Sie hin«, versprach ich ihr. »Beantworten Sie mir vorher noch ein paar Fragen, bitte.«
»Das können wir doch unterwegs erledigen«, meinte sie und verließ das Zimmer.
Ich folgte ihr. In der Nähe des Hotels erwischten wir ein Taxi. »Zum St.-Martins-Hospital«, sagte ich zu dem Falhrer.
»Geben Sie mir eine Zigarette, bitte«, sagte May. Als ich ihr Feuer gab, sah ich, daß sie noch immer zitterte. Ich stellte vorerst keine weiteren Fragen, um ihre Erregung abklingen zu lassen.
Plötzlich begann sie zu sprechen, unaufgefordert, leise und wie gehetzt. »Ich liebe Bert. Ich weiß, wie sehr er an seinem Beruf hängt — deshalb habe ich ihn nie darum gebeten, die Rennfahrerei an den Nagel zu hängen. Es ist sein Leben, wissen Sie. Aber ich kann nicht dabeisein. Ich vergehe vor
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