Jerry Cotton - 2909 - Rache ist ein einsames Geschaeft
ich sie eben später noch einmal anrufen müssen.
***
»Agent Cotton?« Die Stimme am Telefon erkannte ich erst, als sich der stellvertretende Gefängnisdirektor mit Namen vorstellte.
»Es geht um Frank Hines. Er tobt. Etwas ist passiert und ich bitte Sie, unverzüglich herzukommen. Er will nur mit Ihnen sprechen.«
Hines war immer noch außer sich, als ich auf Rikers Island eintraf. Dieses Mal begleitete mich Phil. Während ich mich zum Sprechzimmer mit dem Serienmörder bringen ließ, schlug mein Partner den Weg zur Gefängnisleitung ein. Am Telefon hatte ich bereits erfahren, dass Hines wieder eine Nachricht bekommen hatte. Es war jetzt höchste Zeit, einmal zu durchleuchten, wer überhaupt als Bote für diese Übermittlungen in Frage kam.
Hines wartete bereits auf mich. Vor ihm auf dem Tisch lag ein Blatt Papier.
»Drehen Sie es um«, verlangte der Killer und ich sah das Foto einer jungen Frau vor mir. Sie schien zu schlafen, die Augen waren geschlossen, das lange, dunkelblonde Haar verteilte sich verwuschelt auf einem weißen Kissen, ihr rechter Arm lag daneben, die Hand leicht geöffnet.
»Wer ist das?«, frage ich.
»Das ist meine älteste Tochter, Clarice«, schrie Hines. »Sie ist tot. Tot!«
»Ruhig, Hines. Die Frau auf dem Foto schläft«, beruhigte ich mein Gegenüber. Sicher war ich mir nicht, aber irgendetwas an dem friedlichen Gesichtsausdruck sagte mir, dass ich recht hatte.
»Außerdem wüsste ich gerne, wie Sie sie erkannt haben. Sie haben Ihre Töchter seit vielen Jahren nicht gesehen. Betty und Clarice waren beide noch Kinder, als Sie verhaftet wurden.«
Hines hockte zusammengesunken auf seinem Stuhl. Sein Unterkiefer mahlte unentwegt, seine Hände öffneten und schlossen sich im selben Takt.
»Das ist Clarice. Sehen Sie die drei kleinen Muttermale unterhalb des linken Ohrs in der Halskuhle? Sie hat sie von ihrer Mutter geerbt.«
»Hines, Ihnen ist schon klar, dass das hier ein Ausdruck von einem Computer ist und es sich um ein digital bearbeitetes Foto handeln kann?«
Ich hörte selbst, wie wenig überzeugend ich klang. Vor allen Dingen, nachdem wir immer noch nicht wussten, wo sich Clarice aufhielt. Und mit wem sie zusammen war. Der Mann, mit dem sie das Wochenende in Atlantic City verbracht hatte, ihr vermeintlicher neuer Freund, könnte dieses Foto geschossen haben. Ich hoffte inständig, dass Blair bald positive Neuigkeiten für uns haben würde.
»Sie ist es. Clarice war ihrer Mutter immer sehr ähnlich. Ich erkenne mein eigen Fleisch und Blut.« Hines brabbelte vor sich hin, Speichel lief ihm aus dem Mund, er wischte ihn nicht einmal weg. Dann ruckte sein Kopf nach oben. Er starrte mich mit einem Blick an, den ich bisher nur bei Wahnsinnigen gesehen hatte.
»Cotton, geben Sie zu, Sie wissen nicht, wo sie ist. Sie haben den Mörder nicht. Jetzt hat er meine Tochter. Sie haben versagt, mich enttäuscht!« Seine Stimme erhob sich, er schrie nun wie ein angeschossenes Tier.
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Einer der beiden Bewacher schob den Kopf herein. »Agent Cotton, alles in Ordnung?«
»Danke, Officer. Ich denke, Sie können Mister Hines wieder in seine Zelle bringen.« Ich stand auf und griff nach dem Foto. »Hines, wir tun, was wir können. Wir finden Clarice. Und wir finden den Mörder. Nicht für Sie. Für die Frauen da draußen, die schon wieder von einem Monster bedroht werden. Einem Monster, wie Sie selbst es einmal waren. Vielleicht kapieren Sie jetzt, was Sie damals anderen Menschen angetan haben. Menschen, die heute noch um ihre ermordeten Angehörigen trauern.«
Die Wachleute machten Hines los und zogen ihn von seinem Stuhl hoch. Er war inzwischen völlig außer sich, hing zwischen ihnen wie ein nasser Sack, fluchte und brabbelte in einem fort.
»Er braucht einen Arzt. Der Mann ist hochgradig unruhig und eine Gefahr für sich und andere«, stellte ich fest. Einer der Wachleute nickte. »Wir bringen ihn später auf die Krankenstation, das war sowieso so vorgesehen.«
Im selben Moment riss Hines sich los. Es schien, als habe ihm die Angst um seine Tochter übermenschliche Kräfte verliehen. Trotz seiner Hand- und Fußfesseln stürzte er auf mich zu und hob die Hände, flehend oder drohend, das konnte ich nicht erkennen.
»Cotton, helfen Sie ihr. Wenn Clarice stirbt, dann …« Weiter kam er nicht. Die beiden Wachleute hatten ihn bereits eingeholt, einer schlug Hines mit einem Schlagstock von hinten gegen die Kniekehlen, der stolperte und wurde gleichzeitig
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