Jerry Cotton - 2909 - Rache ist ein einsames Geschaeft
traurige Nachricht vom Ableben ihrer Arbeitgeberin überbracht. Sandy, so hieß die junge Frau, war vor ihren Augen fast zusammengebrochen.
»Sandy, Sie müssen einen kühlen Kopf bewahren. Denken Sie bitte nach. Wer könnte Dr. Gillmore Schaden zufügen wollen? Vielleicht ein Patient?«
June sprach leise und beruhigend auf die junge Frau ein.
»Patient? Oh Gott. Ich muss ja wohl alle Termine absagen!« Die Sprechstundenhilfe starrte June erschrocken an.
Die FBI-Agentin schüttelte den Kopf. »Darum kümmern wir uns schon.« Sie sagte nicht, dass sie beschlossen hatten, alle für diesen Tag bestellten Patienten kommen zu lassen, um sie zu befragen. Es war sowieso nur ein halbes Dutzend, Doktor Gillmore vergab Termine nur zwischen 10.00 und 14.00 Uhr. In dieser Zeit arbeitete sie ohne Pause durch. Danach komplettierte sie ihre Akten. An zwei Abenden pro Woche half sie ehrenamtlich bei einer Organisation, die Verbrechensopfer betreute. Das alles hatte June bereits von Sandy erfahren.
Während sie und die Sprechstundenhilfe in das Sprechzimmer der verstorbenen Psychologin gingen, um sich dort weiterhin ungestört zu unterhalten, blieb Blair im Vorzimmer. Als Erstes betrat eine überschlanke, nervös wirkende Mittvierzigerin die Praxis. Beim Anblick des großen Afroamerikaners blieb sie wie von der Tarantel gestochen stocksteif stehen.
»Helena Kruger«, las Blair im Terminkalender, bevor er sich vorstellte.
»FBI? Sie?« Die Frau bewegte sich unwillkürlich zwei Schritte rückwärts zur Tür. Blair Duvalls Gesichtsausdruck verfinsterte sich, doch im selben Moment kam June noch einmal kurz aus dem Sprechzimmer.
»Ich brauche den Terminkalender«, sagte sie zu Blair. Dabei erfasste sie mit einem Blick die Situation und zückte ihre Marke.
»Agent June Clark, FBI. Das ist mein Kollege, Agent Blair Duvall.« Sie nickte kurz zu ihrem Partner hinüber und verschwand danach mit dem Terminbuch wieder im Sprechzimmer.
»Also … entschuldigen Sie … das ist mir jetzt peinlich«, stammelte die hochrot angelaufene Mrs Kruger. Blair schnaufte kurz. Das waren die Situationen, in denen er mit seiner Hautfarbe haderte. Als ob ein Farbiger immer auf der falschen Seite des Gesetzes stehen müsste! Doch schnell hatte er sich wieder im Griff.
»Setzen Sie sich, Mistress Kruger. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
Mrs Kruger nickte und zeigte sich fortan äußerst kooperativ.
***
Am frühen Nachmittag hatten June und Blair die Befragung von Sandy und den Patienten des heutigen Tages abgeschlossen. Keine der befragten Personen konnte sich einen Reim darauf machen, was der Psychologin passiert war. Niemand wirkte verdächtig.
»Die ängstliche Mistress Kruger ist wegen ihrer Magersucht in Behandlung. Hat sie mir ganz frank und frei erzählt«, sagte Blair. »Die beiden Herren, die danach kamen, ließen sich aus beruflichen Gründen coachen. Eine junge Frau macht Traumatherapie, eine weitere ist nach einem nicht näher beschriebenen Übergriff in Behandlung.«
»Sehr vielseitig, unsere Frau Doktor«, merkte June trocken an.
»Lediglich ein Patient ist nicht erschienen und hat auch nicht abgesagt.« Blair klopfte mit dem Finger auf den entsprechenden Eintrag.
»Moment«, sagte June und ging ins Sprechzimmer zurück. »Sandy? Können Sie uns etwas über Mister Miller sagen?«
Die junge Frau putzte sich die vom Weinen rot angeschwollene Nase und schaute auf den Eintrag im Terminbuch. »Das ist nicht meine Schrift«, murmelte sie. »Den Termin hat Doktor Gillmore selbst eingetragen.
»Wo finden wir die Anschrift des Mannes?«, fragte Blair. Sandy huschte zum Aktenschrank, in dem Doktor Gillmore ihre Patientenunterlagen verwahrte.
»Ist das heute noch üblich?«, wollte Blair wissen.
»Hier finden sich nur Patientendaten und Abrechnungsbelege. Die Befunde hat sie zweifach verschlüsselt in ihrem Computer gespeichert«, beantwortete die bereits gut informierte June die Frage ihres Partners.
»Es gibt hier mehrere Mister Millers«, murmelte Sandy gerade und förderte drei Akten zutage.
»Können Sie herausfinden, welcher der drei heute kommen sollte?« Blair wirkte jetzt bereits etwas ungeduldig.
»Du scharrst schon mit den Hufen?«, grinste June kurz zu ihm hinüber.
»Ich habe ihn gefunden!«, durchbrach Sandys Stimme die kurze Unterhaltung. »Er ist noch kein regulärer Patient. Doktor Gillmore ist mit ihm im Rahmen ihres ehrenamtlichen Engagements in Kontakt gekommen. Heute wäre sein erster Termin
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