Jerry Cotton - 2911 - Jung schoen und toedlich
Mann ist?«, fragte ich. Phil sah mich an, überlegte.
»Das kann ich nicht erkennen«, antwortete Joe. »Du?« Offenbar wandte er sich seinem Partner zu.
»Nein, ich auch nicht«, war Les zu vernehmen. »Bigfoot ist es jedenfalls nicht. Der Kerl könnte übergewichtig sein, bei mittlerer Körpergröße.«
»Wobei die dicken Klamotten das Bild verfälschen«, meldete sich Joe wieder zu Wort.
»Was ist eigentlich die weibliche Form von ›Kerl‹?«, fragte Phil.
Niemand antwortete darauf, denn der Unbekannte im Schneetreiben erreichte jetzt den Briefkasten. Allem Anschein nach hatte er einen Schlüssel, doch das war nicht zu erkennen. Joe schilderte uns, dass der Vermummte sich noch einmal sichernd umsah. Unsere Kollegen hatte er bislang nicht entdeckt und würde es auch weiterhin nicht, denn sie standen mit ihrem neutralen grauen Dienstwagen hinter einer zwar winterlich kahlen Buschgruppe, die jedoch ausreichenden Sichtschutz bot. Das Gestrüpp wuchs auf einer Verkehrsinsel, ähnlich jener, auf der Goran Shames’ Leiche gefunden worden war.
Der Vermummte schloss den Briefkasten auf, beugte sich vor und schaltete eine Taschenlampe ein, als er in den waagerechten Schacht blickte. Sein Gesicht war trotz des Lichtflecks nach wie vor nicht zu erkennen. Die weit nach vorn hängende Kapuze und der Schneefall verhinderten es.
»Jetzt haut es ihn um«, stellte Joe trotzdem fest. »Am liebsten würde er in den Kasten hineinkriechen.«
»Eigentlich müsste er doch damit gerechnet haben, dass die Glock weg ist«, gab Phil zu bedenken. »Ich meine, Gun Sharing bedeutet doch, dass mehrere Leute so eine Waffe benutzen können.«
»In diesem Fall wahrscheinlich nicht«, erwiderte ich. »Bestimmt wollten sie diese Waffe aus dem Verkehr ziehen – nachdem sie abgewartet haben, bis Ruhe einkehrte.«
»Er schaltet die Lampe aus und schiebt etwas mit der linken Hand unter seine Kapuze«, meldete Joe. »Wahrscheinlich sein Handy. Sieht so aus, als ob er telefoniert.«
»Um in der Gun-Sharing-Gemeinde herumzuhorchen, wer die Glock vielleicht ausgeliehen haben könnte«, mutmaßte Phil.
»Wie auch immer«, sagte Joe. »Jetzt schließt er den Kasten ab, steckt das Handy ein und geht zurück zum Wagen. Okay, wir hängen uns dran. Sollen wir Ablösung anfordern? Damit der Briefkasten weiter beobachtet wird?«
»Nein«, entschied ich. »Das ist nicht mehr nötig.«
***
New York schaltete herunter. Alles verzögerte sich. Insbesondere der Straßenverkehr. Der Schneefall hatte sich noch verstärkt, doch zum Glück ließ der Wind etwas nach. Zudem waren alle verfügbaren Räumfahrzeuge ausgeschwärmt, und die Highways hatten Vorrang bei der Schneeräumung.
Trotzdem brauchten wir zwei Stunden, bis wir die Robert F. Kennedy Bridge erreichten. Dank der Positionsmeldungen wussten wir, dass Robert Franklin und Lance Abbott immer noch vor uns waren, und zwar knapp außer Sichtweite. Joe und Les folgten dem Vermummten, der einen dunkelblauen Buick Regal fuhr.
Das Kennzeichen hatten sie wegen der schlechten Sicht noch nicht erkennen können. Der Buick musste etwa eine Meile hinter uns sein. Mit unseren Kollegen im Schlepp fuhr er in die gleiche Richtung wie wir. Ich ahnte, worauf es hinauslaufen würde. Nur das genaue Ziel kannten wir noch nicht.
Phil nahm die Funksprüche entgegen, hielt Kontakt mit dem Chef und informierte ihn über die Entwicklung der Lage. Die Vernehmung Felipe Bogados hatte nichts Neues ergeben; er beteuerte nach wie vor seine Unschuld.
Nachdem wir die Brücke über den Harlem River hinter uns gelassen hatten, durchquerten wir East Harlem. Augenblicke später kam die entscheidende Funkmeldung von den Kollegen des 25th Precinct, die gleich mehrere Beobachtungsposten an den verschiedenen Abfahrten eingerichtet hatten:
»Zielfahrzeug biegt in den Malcolm X Boulevard ein, Fahrtrichtung Nord.«
Phil sah mich an. Ich nickte.
»Wir übernehmen selbst«, teilte Phil den Kollegen mit. Dann benutzte er abermals das Smartphone, um Mr High über den neuen Stand der Dinge zu unterrichten.
Ich beschleunigte, soweit das bei den Straßenverhältnissen möglich war. Nachdem wir den Malcolm X Boulevard erreicht hatten und ebenfalls nach rechts eingebogen waren, erblickten wir den hellblauen Chevrolet Trailblazer etwa fünf Fahrzeuglängen vor uns. Es herrschte mäßiger Verkehr; den Umständen entsprechend kamen wir zügig voran. Hinter den Autohecks verwirbelte der Schnee und ließ die Reflexionen der Rückleuchten als
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