Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
entscheidet, muss die gesamte Presse in Wien und Berlin schweigen!« Später polterte er: »Ich gebe nichts auf eure Loyalität. Hättet ihr keine verschwörerischen Pläne im Kopf, so wäret ihr nicht in dieses trostlose Land gekommen, um unter Arabern zu leben, die euch hassen. Wir finden, dass Zionisten gehenkt werden sollten, aber ich habe die Hinrichtungen satt. Wir werden euch stattdessen über das ganze Gebiet des türkischen Staates verstreuen.« [230]
Ben-Gurion wurde deportiert und musste seine Hoffnungen nun in die Alliierten setzen. Araber wurden zum Militär eingezogen, Christen und Juden in Strafbataillonen beim Straßenbau eingesetzt. Viele starben an Hunger und Entbehrung. Dann kamen Krankheiten, Insektenplagen und Hungersnot. »Die Heuschrecken kamen in dichten Wolken«, erinnerte sich Wasif, der sich über Djemals Versuche lustig machte, der Plage Herr zu werden, »indem er befahl, dass jede Person, die älter ist als 12 Jahre, drei Kilo Heuschreckeneier abliefern müsse«, was lediglich bewirkte, dass ein vollkommen absurder Handel mit Heuschreckeneiern erblühte.
Wasif sah, wie sich der Hunger im ganzen Land ausbreitete, und dazu »wurden die Menschen von Typhus und Malaria dahingerafft«. Epidemien, Hunger und Deportationen dezimierten die jüdische Bevölkerung bis 1918 um 20 000. Doch Wasifs Lieder, sein Lautenspiel und seine Fähigkeit, hübsche weibliche Gäste für wilde Partys aufzutreiben, waren gefragt wie nie.
Krieg und Sex in the City: Wasif Jawhariyyeh
Während Djemal, seine Offiziere und die Notabeln der Stadt ein rauschendes Fest nach dem anderen feierten, hatte die einfache Bevölkerung der Stadt mit den katastrophalen Folgen des Krieges zu kämpfen. Die Armut war so groß, dass sich junge Straßenprostituierte, nicht selten Kriegswitwen, in der Altstadt für zwei Piaster pro Freier anboten. Im Mai 1915 wurden ein paar Lehrer entlassen, weil sie sich während der Schulstunden mit Prostituierten vergnügt hatten. Manche Frauen verkauften sogar ihre Babys. »Alte Frauen und Männer« – insbesondere die armen chassidischen Juden in Mea Shearim – »hatten aufgeblähte Bäuche vor Hunger. Sie starrten vor Schmutz und ihre Gesichter und Körper waren mit schwärenden Wunden bedeckt.«
In den Nächten ging es für Wasif hoch her: »Ich schlief jede Nacht in einem anderen Haus und ging nur nach Hause, um mich umzuziehen, mein Körper völlig ausgelaugt vom vielen Trinken und Feiern. Am Vormittag gehe ich mit den Notabelnfamilien von Jerusalem zum Picknick, und als nächstes veranstalte ich in den Gassen der Altstadt eine Orgie mit Dieben und Mördern.« Eines Nachts fuhr Wasif mit einer Gesellschaft, die sich aus dem Gouverneur, seiner jüdischen Geliebten aus Thessaloniki, mehreren osmanischen Beys sowie Jerusalemer Notabeln einschließlich Major Hussein al-Husseini zusammensetzte, in einem aus vier Limousinen bestehenden Konvoi zu einem »internationalen Picknick« im römisch-katholischen Kloster in Artas bei Bethlehem: »Es war ein herrlicher Tag für alle in diesen schweren Zeiten, in denen Hunger und Krieg den Menschen zu schaffen machten. Niemand hielt sich mit Förmlichkeiten auf, alle tranken Wein, und die Damen waren so schön in dieser Nacht; es war keine Zeit zu essen, und alle sangen wie ein einziger Chor.«
Die jüdische Geliebte des Gouverneurs begeisterte sich so sehr für arabische Musik, dass Wasif versprach, ihr das Oud-Spielen beizubringen. Wasifs Leben scheint eine rauschhafte Folge von Orgien mit seinen Auftraggebern gewesen zu sein, an denen die »schönsten jüdischen Frauen« teilnahmen und manchmal auch russische Mädchen, die wegen des Krieges in Jerusalem festsaßen. Einmal war der Quartiermeister der 4. Armee, Raushen Pascha, »so betrunken, dass er, umgeben von so viel Schönheit, in Ohnmacht fiel«.
Wasif musste nicht für seinen Lebensunterhalt arbeiten, weil ihn die Notabeln, zuerst Hussein al-Husseini, später Ragheb Nashashibi, mit Sinekure-Ämtern in der Stadtverwaltung versorgten. Husseini war der Leiter der Hilfsorganisation Roter Halbmond. Wie so oft diente auch hier die Wohltätigkeit nur als Vorwand für schamlose Extravaganz und Verschwendung: Die »attraktiven Damen« der Stadt wurden gebeten, sich in figurbetonte, mit dem Roten Halbmond geschmückte osmanische Uniformen zu kleiden, eine Aufmachung, die Djemal unwiderstehlich fand. Seine Geliebte war Leah Tennenbaum, die Wasif als »eine der schönsten Frauen in Palästina« beschrieb.
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