Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Sima al-Magribiyyah, auch eine Jüdin, wurde die Geliebte des Garnisonskommandanten, und Miss Cobb, eine Engländerin, war dem Gouverneur zu Diensten.
Gelegentlich fielen auch für Wasif ein paar Krumen vom Tisch der hohen Herrschaften ab. Als er mit seiner Musikergruppe eingeladen wurde, auf einer Party in einem jüdischen Haus zu spielen, fand er sich in einem riesigen Saal wieder, in dem »eine Gruppe osmanischer Offiziere um die Damen herumstrich«, unter ihnen eine gewisse Miss Rachel. Plötzlich brachen die betrunkenen Türken einen Streit vom Zaun und fingen an, mit ihren Pistolen erst auf die Lampen und dann aufeinander zu schießen. Die Möchtegern-Vornehmen und die Musiker rannten um ihr Leben. Wasifs geliebte Laute ging dabei zu Bruch, aber Rachel zog ihn in einen Wandschrank, von dem aus man durch eine Geheimtür in das angrenzende Haus gelangte – »Sie rettete mir das Leben«, und, sicher nicht weniger angenehm, »ich blieb die Nacht über bei ihr.«
Am 27. April 1915, dem Jahrestag von Sultan Mehmeds Thronbesteigung, lud Djemal osmanische und deutsche Offiziere sowie die Mitglieder der führenden Jerusalemer Familien in das zum Truppenhauptquartier umfunktionierte Kloster Notre Dame vor dem Neuen Tor ein. Die Osmanen kamen in Begleitung von fünfzig Prostituierten, die Notabeln brachten ihre Ehefrauen mit.
Selbst in Zeiten, in denen es mit Jerusalem immer weiter abwärts ging, waren die Dinnerpartys, die Ballobar für Djemal Pascha arrangierte, üppige Bankette: Das Speisenangebot eines Festmahls am 6. Juli 1916 umfasste türkische Suppe, Fisch, Steak, Fleischpasteten und gefüllten Truthahn, gefolgt von Eiskrem, Ananas und anderen Früchten. Während des Essens sprach Djemal über Frauen, Macht und sein neues Jerusalem. Er hielt sich für einen begnadeten Stadtplaner und hatte die Absicht, die Stadtmauern niederzureißen und eine Prachtstraße zu bauen, die quer durch die Altstadt von Jerusalem vom Jaffator bis zum Tempelberg führen sollte. Dann verkündete er stolz, er habe die glamouröse Leah Tennenbaum geheiratet. [231] Djemal tauchte oft unangekündigt bei Ballobar auf – und als sich die Lage zuzuspitzen begann, machte der Spanier seinen Einfluss geltend, um zumindest die despotischen Taten des Schlächters zu verhindern.
Während Djemal also die im Chaos versinkende Stadt Jerusalem regierte, verlor sein Mitstreiter, Vizegeneralissimus Enver, 80 000 Mann in seiner strategisch ungeschickten Russland-Offensive. Für die katastrophale Niederlage machten er und Talaat die armenischen Christen verantwortlich, die in der Folge systematisch deportiert und ermordet wurden. Eine Million Armenier fielen dem Völkermord zum Opfer, der Hitler in seinen Plänen zur Vernichtung der Juden bestärkt haben soll. Djemal war, zumindest nach außen hin, mit dem Vorgehen gegen die Armenier nicht einverstanden. Jedenfalls nahm er armenische Flüchtlinge in Jerusalem auf, deren Zahl sich in der Stadt während des Krieges verdoppelte.
Djemal führte geheime Verhandlungen mit den Briten, und er erzählte Ballobar, dass London ihn dazu bringen wolle, Talaat Pascha zu ermorden. Irgendwann bot er den Alliierten in Geheimgesprächen an, nach Istanbul zu marschieren, Enver zu stürzen, die Armenier zu retten und sich selbst ins erbliche Sultanat einzusetzen. Die Alliierten nahmen sein Angebot nicht ernst, worauf er sein Werk in Jerusalem fortsetzte. Er ließ zwölf Araber hängen und ihre Leichen entlang der Mauer zur Schau stellen, während Enver den Osten bereiste, um seine islamische Legitimation zu unterstreichen, arabische Dissidenten einzuschüchtern und ein Auge auf seinen ehemaligen Weggefährten zu haben. Wasif sah zu, wie der osmanische Machthaber in Djemals Begleitung in Jerusalem eintraf. Nachdem sie den Felsendom, das Davidsgrab und die Grabeskirche besucht und die Djemal-Pascha-Straße eingeweiht hatten, wurde Enver von Major Hussein al-Husseini im Hotel Fast bewirtet, und wie immer sorgte Jawhariyyeh, der das Fest organisiert hatte, für die Unterhaltung der Gäste.
Die beiden Paschas machten sich gen Mekka auf, um die Gefahr eines möglichen arabischen Aufstandes durch Gebete abzuwenden. Aber es half nichts: Envers Hadsch konnte Arabien nicht für die Osmanen retten. [166]
45
Araberaufstand und Balfour-Deklaration
1916 – 1917
Lawrence und der Scherif von Mekka
Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges stattete ein junger Prinz aus Mekka, Abdullah ibn Hussein, dem britischen Hochkommissar für
Weitere Kostenlose Bücher