Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Djemal, der Marineminister und einer der Drei Paschas, als faktischer Diktator von Syrien und Oberbefehlshaber der 4. Osmanischen Armee in Jerusalem eintraf. Er richtete sein Hauptquartier auf dem Augusta-Viktoria-Gelände auf dem Ölberg ein. Am 20. Dezember fuhr ein alternder Scheich mit der grünen Fahne des Propheten aus Mekka in einer vornehmen Kutsche am Damaskustor vor. Seine Ankunft, begleitet von einem geordneten Zug pittoresk anmutender Soldaten, versetzte die Stadt in einen »unbeschreiblichen Aufruhr«. Die ganze Bevölkerung war auf den Beinen und »formierte sich, Allahu akbar singend, im Gefolge des Scheichs zu der schönsten Prozession, die ich je gesehen habe«, schrieb Wasif Jawhariyyeh. Vor dem Felsendom rief Djemal den Heiligen Krieg aus. »Die ganze Bevölkerung brach in Jubel aus«, wusste Kress von Kressenstein zu berichten. Doch kurz vor Weihnachten starb der alte Scheich von Mekka unerwartet – ein schlechtes Omen für den osmanischen Dschihad.
Djemal, ein untersetzter, bärtiger Mann von 45 Jahren, der nie ohne den Begleitschutz seiner Kamelreiter auftrat, war eine widersprüchliche Persönlichkeit, in der rohe, paranoide Grausamkeit mit Charme und Intelligenz gepaart war. Ein Genussmensch mit »einer Schwäche für einen aufwendigen Lebensstil und schöne Jüdinnen«, war er von seiner eigenen Größe überzeugt, verfügte aber auch über eine gute Portion Selbstironie. Während er Jerusalem tyrannisierte, pflegte er zum Ausgleich Poker zu spielen, durch die judäischen Berge zu galoppieren, Champagner zu trinken und mit seinem Freund, dem spanischen Konsul Conde de Ballobar, Zigarren zu rauchen. Ballobar, ein aristokratischer Endzwanziger, beschrieb den Pascha als » sale type, mais bon garçon «, einen »schmierigen Typen, aber guten Kerl«. Bertha Spafford hielt Djemal für einen »merkwürdigen Mann, vor dem man sich fürchten musste«, aber auch einen »Menschen mit zwei Gesichtern«, der sehr freundlich und charmant sein konnte. Einmal schenkte er einem kleinen Mädchen unbemerkt eine diamantenbesetzte Medaille, die seine Eltern bei ihm fanden, als sie nach Hause kamen. Einer seiner deutschen Offiziere, Franz von Papen, bezeichnete ihn als »einen intelligenten, aber sehr harten Mann, einen orientalischen Despoten«.
Djemal regierte nahezu unabhängig über sein Hoheitsgebiet: Dieser Mann von uneingeschränktem Einfluss, der seine Macht außerordentlich genoss, pflegte zu fragen: »Was sind schon Gesetze? Ich mache sie und ich setze sie außer Kraft«. Die Drei Paschas hegten mit Recht Zweifel an der Loyalität der arabischen Bevölkerung. Den Arabern, die zu dieser Zeit eine kulturelle Renaissance erlebten und von einem eigenen Nationalstaat träumten, war der türkische Chauvinismus verhasst. Und immerhin repräsentierten sie im Osmanischen Reich 40 Prozent der Bevölkerung. Etliche Regimenter der osmanischen Armee waren rein arabisch. Djemal war entschlossen, die arabischen Provinzen zu halten und jedes arabische – und natürlich auch zionistische – Aufbegehren zuerst mit freundlichen Drohungen und dann nur noch mit Drohungen im Keim zu ersticken.
Bald nach seiner Ankunft in Jerusalem rief er eine Gruppe von Arabern zu sich, die nationalistischer Umtriebe bezichtigt wurden. Er ließ die Männer, denen zunehmend die Farbe aus dem Gesicht wich, mit Bedacht links liegen, bis er sich schließlich mit der Frage an sie wandte: »Seid ihr euch der Schwere eurer Verbrechen bewusst?« Und als sie antworten wollten, fiel er ihnen ins Wort: »SCHWEIGT! Kennt ihr die Strafe, die darauf steht? Hinrichtung! Hinrichtung!« Er ließ die Worte auf die Männer wirken, dann fuhr er fort: »Aber ich werde mich damit begnügen, euch und eure Familien nach Anatolien zu verbannen.« Als die eingeschüchterte Gruppe den Raum verlassen hatte, drehte er sich lachend zu seinem Adjutanten um: »Was soll man machen? So werden die Dinge hier geregelt.« Als eine neue Straße gebaut werden musste, erklärte er dem Leiter des Bauprojekts: »Wenn die Straße nicht rechtzeitig fertig ist, werde ich Sie hinrichten lassen, sobald der letzte Stein gelegt ist!« Und manchmal bemerkte er nicht ohne Stolz: »Überall ächzen und stöhnen die Leute meinetwegen.«
Als er vor dem Feldzug gegen das unter britischer Verwaltung stehende Ägypten seine Truppen inspizierte, die zum größten Teil von deutschen Offizieren befehligt wurden, stellte er fest, dass in Syrien eifrig gegen die türkische Regierung intrigiert
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