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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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beiden Seiten erstaunlich breit gefächert. Bei den Juden reichte es von den Ultraorthodoxen, die den Zionismus als gotteslästerlich verteufelten, über diejenigen, die sich vollständig integrierte jüdische Kolonien in einem von Arabern beherrschten Nahen Osten vorstellen konnten, bis zu den nationalistischen Extremisten, denen ein bewaffneter jüdischer Staat mit einer relativ rechtlosen arabischen Minderheit vorschwebte. Bei den Arabern gab es nationalistische Fundamentalisten, die am liebsten alle jüdischen Einwanderer aus dem Land vertrieben hätten, ebenso wie liberale Demokraten, die mit jüdischer Unterstützung einen arabischen Staat aufbauen wollten. In arabischen Intellektuellenkreisen wurde auch über die Frage diskutiert, ob Palästina zu Syrien oder zu Ägypten gehören sollte. Ihsan Turjan, ein junger osmanischer Soldat, hatte in seinen Tagebüchern geschrieben: »Der ägyptische Khedive sollte auch König von Palästina und des Hedschas sein.« Khalil Sakakini stellte dagegen fest, dass »der Anschluss Palästinas an Syrien« eine Idee war, die immer breitere Zustimmung fand. Ragheb Nashashibi rief den Literarischen Klub ins Leben, der den Anschluss an Syrien forderte; die Husseinis gründeten den Arabischen Klub. Beide lehnten die Balfour-Deklaration entschieden ab.
    Am 20. Dezember traf dann Ronald Storrs als neuer Militärgouverneur in Jerusalem ein – eine Art »Pontius Pilatus«, wie er sich selber nannte.
    Oriental Storrs: der wohltätige Tyrann
    In der Eingangshalle des Hotels Fast traf Storrs seinen Vorgänger, General Barton, im Morgenmantel an. »Die einzigen Orte, an denen man es in Jerusalem aushalten kann, sind das Bett und das Bad«, klärte er den Neuankömmling auf. Storrs, der am liebsten weiße Anzüge mit auffälligen Ansteckblumen trug, stellte fest, dass Jerusalem »auf Hungerration« gesetzt war und dass die »Juden sich, wie üblich, das Kleingeld unter den Nagel gerissen« hätten. Sein »großes Abenteuer« in dieser Stadt, »die einzigartig ist in der Welt«, erfüllte ihn mit Begeisterung, doch wie den meisten Protestanten war ihm der Pomp der Grabeskirche zuwider, [243] und er betrachtete den Tempelberg als »glorreiche Vereinigung von Piazza San Marco und Great Court of Trinity in Cambridge«. Storrs empfand sich selbst als zum Herrschen über Jerusalem geboren: »Durch ein geschriebenes oder auch nur gesprochenes Wort Unrecht gutzumachen, die Entweihung von Heiligtümern zu verbieten, Geschick und guten Willen walten zu lassen heißt, die Macht des aristotelischen wohltätigen Tyrannen auszuüben.«
    Storrs war kein gewöhnlicher Beamter des Kolonialministeriums. Der Sohn eines Vikars, der für einen Engländer erstaunlich weltoffen war, hatte in Cambridge Altphilologie studiert. Sein Freund Lawrence, der sonst eine tiefsitzende Abneigung gegen Beamte hegte, beschrieb ihn als »den geistreichsten Engländer im Nahen Osten, hervorragend tüchtig, wenn auch seine Energien abgelenkt waren durch eine Liebe zu Musik und Literatur, Skulptur, Malerei und allem, was es Schönes gibt auf dieser Welt«. Er hatte gehört, wie Storrs auf Arabisch, Deutsch und Französisch über Wagner und Debussy doziert hatte, aber sein »intoleranter Verstand hielt sich selten damit auf zu überzeugen«. In Kairo hatten ihm seine gehässigen Bemerkungen und seine intrigante Art in Anlehnung an das am übelsten beleumundete Geschäft der Stadt den Spitznamen Oriental Storrs eingebracht. Dieser außergewöhnliche Militärgouverneur schickte sich an, das geschundene Jerusalem wieder aufzubauen. Helfen sollte ihm dabei ein bunt gemischter Haufen von Mitarbeitern, als da wären:
ein Kassierer von einer Bank in Rangoon, ein Schauspieler-Dramaturg, zwei Assistenten von Thomas Cook, ein Kunsthändler, ein Militärausbilder, ein Clown, ein Landbewerter, ein Bootsmann aus dem Niger, ein Schnapsbrenner aus Glasgow, ein Organist, ein Baumwollhändler aus Alexandria, ein Architekt, ein junger Postbeamter aus London, ein ägyptischer Taxifahrer, zwei Lehrer und ein Missionar.
    Innerhalb weniger Monate gründete er die Pro-Jerusalem Society, die von dem armenischen Waffenhändler Basil Zaharoff und den US-amerikanischen Millionären Andrew Carnegie und J. P. Morgan finanziert wurde. Ihr Ziel war es zu verhindern, dass aus Jerusalem ein »zweitklassiges Baltimore« wurde.
    Niemand war erfreuter über die glänzende Hautevolee der Stadt als Storrs. Er unterhielt schon bald freundschaftliche Beziehungen nicht

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