Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
sich, deren Ängste zu zerstreuen. Die Briten ermunterten beide Seiten zu Gesten der Verständigung. Weizmann versicherte dem Großmufti, dass die Juden nicht gegen die arabischen Interessen handeln würden, und schenkte ihm einen antiquarischen Koran.
Im Juni 1918 reiste Weizmann quer durch die Wüste, um sich mit Faisal und Lawrence in deren Zeltlager bei Akaba zu treffen. Es war, wie es Weizmann etwas übertrieben formulierte, »der Beginn einer lebenslangen Freundschaft«. Er erläuterte die Pläne der Zionisten, das Land unter dem Schutz der Briten zu erschließen. Für Faisal bestand ein gewaltiger Unterschied zwischen den Juden aus Palästina und den eingewanderten Juden. »Entscheidend ist für Faisal«, klärte Lawrence den Besucher auf, »dass erstere Arabisch sprechen und letztere Jiddisch.« Faisal und Lawrence gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass Haschemiten und Zionisten beim Aufbau des Königreichs Syrien zusammenwirken könnten. »Ich sehe in den Juden die natürlichen Importeure des westlichen Treibmittels, das die Länder des Nahen Ostens so dringend benötigen«, erklärte Lawrence. Weizmann bewertete Lawrences Einstellung zum Zionismus später als »eine sehr positive, weil er überzeugt war, dass die Araber von einer jüdischen Heimstätte beträchtlich profitieren könnten«.
Bei diesem Wüstengipfel erkannte Faisal die Möglichkeit künftiger Gebietsansprüche der Juden in Palästina an. Als die drei Männer bei anderer Gelegenheit in London zusammentrafen, erklärte Faisal, Palästina könne »4–5 Millionen Juden aufnehmen, ohne dass dadurch die Rechte der arabischen Landbevölkerung eingeschränkt würden. Er hatte nicht die geringsten Bedenken, das Land könnte knapp werden in Palästina.« Auch gegen eine jüdische Mehrheitsbevölkerung in Palästina innerhalb eines syrischen Staates hatte er nichts einzuwenden – vorausgesetzt, er konnte die Krone erringen. Syrien war der Preis, und um ihn zu gewinnen, war Faisal zu Kompromissen bereit.
Weizmanns diplomatische Bemühungen trugen erste Früchte. Er hatte oft im Scherz gesagt, »ein jüdischer Staat ohne Universität« sei »wie Monaco ohne Casino«. Am 24. Juli 1918 chauffierte Allenby ihn nun in seinem Rolls-Royce auf den Skopusberg. Hier legten der Mufti, der anglikanische Bischof, zwei Oberrabbiner und Weizmann selbst den Grundstein für die hebräische Universität. Beobachtern fiel auf, dass der Mufti sehr niedergeschlagen wirkte. In der Ferne dröhnte das Artilleriefeuer der Osmanen, auf dem Skopusberg wurden »God Save the King« und die zionistische Hymne Hatikva gesungen. »Unter uns lag Jerusalem«, schwärmte Weizmann, »wie ein schimmerndes Juwel.«
In Palästina kämpften die osmanischen Truppen mit unverminderter Stärke, an der Westfront war kein Sieg in Sicht. In diesen Monaten kam manchmal ein Diener zu Storrs, um ihm mitzuteilen, dass draußen »ein Beduine« auf ihn warte. Wenn er dann hinaus trat, fand er Lawrence, in eines seiner Bücher vertieft, vor. Dann verschwand der englische Beduine so unvermittelt wieder, wie er gekommen war. Im Mai dieses Jahres machte Storrs Lawrence in Jerusalem mit dem amerikanischen Journalisten Lowell Thomas bekannt, dem beim Anblick dieser außergewöhnlichen Erscheinung der Gedanke durch den Kopf ging, »er könnte wahrhaftig ein wieder zum Leben erweckter jüngerer Apostel« sein. Thomas war später nicht unmaßgeblich an der Legendenbildung um Lawrence beteiligt. [171]
Erst im September 1918 setzte Allenby seine Truppen wieder in Bewegung und fügte den Osmanen in der Schlacht von Megiddo die entscheidende Niederlage zu. Deutsche und osmanische Gefangene wurden zu Tausenden durch die Straßen von Jerusalem geführt. Storrs feierte auf seine Weise, indem er auf seinem Steinway »ein wildes Potpourri von ›Vittoria‹ aus Tosca, Händels Märschen Jephta und Scipio und Parrys Hochzeitsmarsch« spielte. Am 2. Oktober überließ es Allenby Oberst Lawrence und dem designierten König von Syrien, Faisal, mit ihren Haschemiten, Damaskus zu befreien. Doch Lawrence mutmaßte sehr richtig, dass der eigentliche Entscheidungsprozess längst in weiter Ferne eingesetzt hatte. Lloyd George war entschlossen, Jerusalem zu halten. Lord Curzon beklagte sich später, der Premierminister spreche über Jerusalem »mit fast so großer Begeisterung wie über die Berge seiner Heimat«.
Als die Deutschen endlich kapitulierten, hatte die Lobbyarbeit bereits begonnen. Am 11. November, dem Tag, an dem das
Weitere Kostenlose Bücher