Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
schrieb er ein paar Tage später. »Nach Jahren vergeblicher Streitereien und Kämpfe ist die berühmteste Stadt der Welt in die Hände der britischen Armee gefallen und wird nie wieder an jene zurückgegeben werden, die sie so lange gegen die streitbaren Heere des Christentums verteidigt haben. Im Namen jedes Hügels schwingen heilige Erinnerungen.«
Allenby hatte eine telegrafische Anweisung vom Kriegsministerium erhalten, in der es hieß: »Empfehlen dringend, am Tor abzusteigen. Deutscher Kaiser ritt hindurch, worauf es allgemein hieß: ›Ein besserer Mann wäre zu Fuß gegangen.‹ Vorteilhafter Gegensatz liegt auf der Hand.« Also schritt der General, begleitet von amerikanischen, französischen und italienischen Gesandten, zu Fuß durch das Tor. Alle Patriarchen, Rabbis, Muftis und Konsuln waren versammelt, und der Bürgermeister hieß Allenby willkommen und übergab die Kapitulation der Stadt nunmehr zum siebten Mal, während »viele vor Freude weinten« und »Wildfremde einander begrüßten und beglückwünschten«.
Mit Allenby war Lawrence von Arabien in die Stadt gekommen, der kurz zuvor die traumatischste Erfahrung seines Lebens gemacht hatte. Ende November war er während eines Erkundungsgangs hinter den feindlichen Linien im syrischen Deraa von dem sadistischen osmanischen Gouverneur Hajim Bey ergriffen worden, der »den ungewöhnlich jungenhaften« Engländer zusammen mit seinen Schergen vergewaltigt hatte. Lawrence konnte fliehen und erholte sich äußerlich schnell, doch die psychische Verletzung saß tief, und nach dem Krieg schrieb er, er fühle sich »verstümmelt, unvollkommen, nur halb ich selbst«. Als Lawrence nach diesem Erlebnis Akaba erreichte, rief ihn Allenby, der im Begriff stand, Jerusalem einzunehmen, zu sich.
Am Tag des Einzugs in Jerusalem verzichtete Lawrence auf sein Beduinengewand und lieh sich eine Offiziersuniform. »Und dann«, schrieb er in den Sieben Säulen der Weisheit , »hatte ich teil an dem für mich denkwürdigsten Ereignis des Krieges, das mich aus historischen Gründen mehr berührte als alles andere auf der Welt.« Jerusalem war in seinen Augen immer noch eine »verwahrloste Stadt«, aber nun verneigte er sich vor dem »gebieterischen Geist des Ortes«. Natürlich war auch der Chronist Wasif Jawhariyyeh unter den Zuschauern.
Allenby – »der letzte der Paladine« – wurde seiner Stärke, seiner würdevollen Haltung und seiner Statur wegen der Bulle genannt, und selbst Djemal Pascha bewunderte »sein Urteilsvermögen und seinen wachen Verstand«. Als Hobby-Naturforscher wusste er »alles über Vögel und Tiere, was es zu wissen gibt«, und er »hatte alles gelesen und trug bei einer Abendgesellschaft eines der weniger bekannten Sonette von Rupert Brooke in voller Länge vor«. Er hatte einen etwas schwerfälligen Humor – sowohl seinem Pferd als auch dem Skorpion, den er als Haustier hielt, hatte er nach dem deutschen Generalfeldmarschall den Namen Hindenburg gegeben –, aber selbst der wählerische Lawrence bewunderte den »riesenhaften, roten, heiteren« General, der »eine solche moralische Größe besaß, dass er nur schwer begreifen konnte, wie klein wir waren. Was für ein Idol dieser Mann war.«
Allenby stieg die Stufen zum Podest hinauf und verlas seine Proklamation des Kriegsrechts über »Jerusalem, die gesegnete Stadt«, die anschließend in französischer, arabischer, hebräischer, griechischer, russischer und italienischer Sprache wiederholt wurde und in der das eine Wort, das allen im Kopf herumging – nämlich Kreuzzug – ängstlich vermieden wurde. Als der Bürgermeister ihm jedoch die Stadtschlüssel aushändigte, soll Allenby gesagt haben: »Die Kreuzzüge sind hiermit beendet«, worauf Bürgermeister und Mufti, Husseini der eine wie der andere, wütend gingen. Die Mitglieder der amerikanischen Erweckergemeinde sahen das ganz anders: »Wir fühlten uns wie Zeugen des letzten siegreichen Kreuzzuges«, schrieb Bertha Spafford. »Eine christliche Nation hatte Jerusalem erobert!« Niemand wusste, was in Lawrences Kopf vorging, denn dieser musste, während Allenby sprach, an seine wenige Tage zurückliegenden Erlebnisse denken: »Es war seltsam, mit dem Oberbefehlshaber vor der Zitadelle zu stehen, seiner Proklamation zu lauschen und daran zu denken, wie ich ein paar Tage zuvor vor Hajim gestanden und seine Worte vernommen hatte.«
Anschließend schritt Allenby zum Jaffator hinaus und schwang sich in den Sattel seines Hindenburg. [241]
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