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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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»Jerusalem jubelte uns zu. Es war beeindruckend«, schrieb Lawrence, doch die Osmanen griffen immer wieder an. »Maschinengewehrfeuer hallte durch die Stadt, ständig kreisten Flugzeuge über uns. Jerusalem war so lange nicht erobert worden, und nie war die Stadt so kampflos gefallen.« Lawrence schämte sich fast »seiner Triumphgefühle«.
    Nach der Proklamation traf man sich zum Mittagessen in General Sheas Hauptquartier, wo der französische Gesandte Picot die Stimmung verdarb, indem er Frankreichs Anspruch auf seinen Teil von Jerusalem betonte. »Und morgen, mein lieber General«, flötete er, »werde ich die notwendigen Schritte unternehmen, um eine Zivilverwaltung in dieser Stadt einzurichten.«
Schlagartig trat Ruhe im Saal ein. Salat, Hühnchenmayonnaise- und Stopflebersandwiches hingen unzerkaut in unseren offenen Mündern, während wir uns zu Allenby umdrehten und ihn anstarrten. Sein Gesicht lief rot an, er schluckte, schob das Kinn vor (in der Art, wie wir es liebten) und sagte grimmig: »Die einzig befugte Instanz in dieser Stadt ist der Oberkommandierende – ICH SELBST.«
    Lawrence kehrte zu Faisal und seinem Kamelkorps zurück. Die Franzosen durften die Wachen am Heiligen Grab stellen, aber die Schlüsselgewalt hatte nach wie vor die Familie Nusseibeh inne. [242] Auf dem Tempelberg stellte Allenby muslimische Inder als Wachposten auf.
    Nach einer Audienz bei König Georg V. traf Chaim Weizmann in weißem Anzug mit seiner Zionistischen Kommission in der Heiligen Stadt ein. Begleitet wurde er von Wladimir Jabotinsky, einem glühenden Nationalisten und Intellektuellen aus Odessa, der in seiner Heimatstadt zum Schutz gegen die um sich greifenden Pogrome jüdische Milizen gebildet hatte. Allenbys Vormarsch kam nördlich von Jerusalem zum Stillstand. Die Osmanen hatten Palästina keineswegs aufgegeben, und da Allenby fast ein Jahr brauchte, um seine Truppen auf eine Fortsetzung der Offensive vorzubereiten, blieb Jerusalem an der Frontlinie. In der Stadt wimmelte es von britischen und kolonialen Truppen, die sich für den großen Vorstoß rüsteten. Jabotinsky baute mit Unterstützung von Major James de Rothschild eine Jüdische Legion zur Verstärkung der britischen Truppen auf, während die Haschemiten unter der Führung von Lawrence und Faisal ungeduldig auf eine Gelegenheit warteten, Damaskus zu erobern – und den Franzosen einen Strich durch die Rechnung zu machen.
    In Jerusalem herrschte bittere Kälte; die Bevölkerung war seit 1914 um 30 000 auf nur noch 55 000 Einwohner zusammengeschrumpft; immer noch starben die Menschen am Hunger und an Malaria, Geschlechtskrankheiten verbreiteten sich (500 jugendliche Prostituierte streiften durch die Straßen der Stadt); 3000 jüdische Kinder waren verwaist. Lawrence war wie Weizmann entsetzt über die Verwahrlosung der Stadt: »Alles was getan werden kann, um das Heilige zu beschmutzen und zu entweihen, wurde getan. Man kann sich so viel Falschheit und Gotteslästerung nicht vorstellen.« Doch wie Rothschild und Montefiore vor ihm, unternahm er nun zwei Versuche, dem Mufti die Klagemauer abzukaufen. Er bot dafür 70 000 Pfund, Geld, das zum Wiederaufbau des maghrebinischen Viertels verwendet werden sollte, doch die Husseinis verhinderten die Verwirklichung dieses Projekts.
    Der stellvertretende Polizeichef von Jerusalem und persönliche Assistent des Chefs der Militärpolizei war ein Großneffe von Moses Montefiore. Wäre er kein Jude gewesen, so hätte man ihm den Chefposten übertragen. Major Geoffrey Sebag-Montefiore ließ rund um die heiligen Stätten Wachen aufstellen. Er veranlasste Razzien in den Bordellen der Stadt, in denen gewöhnlich Scharen von australischen Soldaten anzutreffen waren, und verlor viel Zeit damit, in Fällen zu ermitteln, in denen Soldaten beschuldigt wurden, mit einheimischen Frauen geschlafen zu haben. »Die Bordelle bereiten viele Probleme in Jerusalem«, ließ er Allenby im Juni 1918 wissen. Er verlegte sämtliche Bordelle in einen umgrenzten Bezirk, den Wazzah, was es leichter machte, sie zu überwachen. Im Oktober schrieb er: »Es ist schwer, die Australier von den Bordellen fernzuhalten. Wir haben jetzt eine Patrouille für den Wazzah gebildet.« Ein typischer Bericht von Major Sebag-Montefiore sah etwa so aus: »Geschlechtskrankheiten greifen um sich. Sonst keine nennenswerten Zwischenfälle.«
    In den Cafés rund um das Jaffator debattierten Araber und Juden über die Zukunft Palästinas: Das Meinungsspektrum war auf

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