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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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blauen Augen, scharf gemeißeltem Gesicht und durchgeistigtem Blick«, fuhr in einer Studebaker-Limousine vor, die vollgestopft war mit »Waffen, Landkarten, Lee-Enfield-Gewehren, Mills-Granaten – und einer Bibel«. Im März 1938 gab der britische Kommandant Archibald Wavell, der beeindruckt war von dieser »bemerkenswerten Persönlichkeit«, Wingate den Auftrag, eine jüdische Spezialtruppe auszubilden, die als »Special Night Squad« gegen die Aufständischen eingesetzt werden sollte. Wavell hatte keine Ahnung, worauf er sich einließ: »Ich wusste damals nichts von seiner Verbindung zu T. E. Lawrence.«
    Wingate richtete sein Hauptquartier im Hotel Fast ein, lernte Hebräisch und war bei den Zionisten bald als »der Freund« bekannt – wogegen ihn die Araber als Feind und manche seiner Offizierskollegen als verrückten Draufgänger betrachteten. Er zog aus dem Government House aus und ließ sich mit seiner Frau Lorna in Talpiot nieder. Lorna war »wie eine Porzellanpuppe, so jung und so schön, dass die Leute nicht aufhören konnten, sie anzustarren«, wie sich Ruth Dayan erinnerte. Deren Mann Moshe, im ältesten Kibbuz geborener Sohn russischer Immigranten und jetzt 22 Jahre alt, hatte sich (heimlich) der Haganah angeschlossen und diente (offiziell) bei der Jüdischen Siedlungspolizei, als eines Abends ein Haganah-Mann in Begleitung eines merkwürdigen Besuchers aufkreuzte. Wingate war ein schlanker Mann, an seinem Gürtel hing ein schwerer Revolver, und er hielt eine kleine Bibel in der Hand. Bevor er sich in eine Kampfhandlung begab, pflegte er eine Passage aus der Bibel zu lesen, die sich auf den Schauplatz seines Einsatzes bezog. Dieser evangelikale Bibliolatrist führte die Männer seiner Night-Squad-Truppe in den Kampf gegen arabische Rebellen, die »erkennen mussten, dass sie nirgendwo mehr sicher waren: Wo sie auch standen und gingen, sie konnten überall in einen Hinterhalt geraten.« Während des Aufstands und während des Zweiten Weltkriegs bildeten die Briten 25 000 jüdische Milizionäre aus, darunter auch die Mitglieder anderer Kommandoeinheiten unter der Führung von Yitzhak Sadeh, einem russischen Veteranen der Roten Armee, der später zum Generalstabschef der Haganah avancierte. »Ihr seid die Söhne der Makkabäer«, pflegte Wingate zu seinen Männern zu sagen. »Ihr seid die ersten Soldaten einer jüdischen Armee!« Mit ihrer hervorragenden Ausbildung und ihrem Kampfgeist bildeten sie später das Rückgrat der israelischen Streitkräfte.
    Durch das im September 1938 unterzeichnete Münchner Abkommen, das Hitlers Kriegspläne durchkreuzte und es ihm ermöglichte, die Tschechoslowakei aufzulösen, wurden britische Truppen freigesetzt, so dass 25 000 Soldaten nach Palästina verlegt werden konnten. In Jerusalem landeten die Aufständischen wenig später einen waghalsigen Überraschungscoup: Am 17. Oktober besetzten sie die gesamte Altstadt, vertrieben die britischen Truppen, verbarrikadierten die Tore und gaben sogar eigene Briefmarken mit dem Aufdruck Al-Quds aus. Mit Stolz sah Wasif Jawhariyyeh, der in der Nähe des Jaffatores wohnte, die arabische Flagge auf dem Davidsturm wehen. Doch schon am 19. Oktober überwanden britische Einheiten die Barrikaden an den Stadttoren, eroberten die Stadt zurück und töteten 19 Rebellen. »Ich kann die Nacht des Kampfes zwischen der britischen Armee und den Rebellen nicht beschreiben«, notierte Wasif, der von seinem Haus aus das Geschehen verfolgte. »Wir sahen die Explosionen und hörten die Bombeneinschläge und Gewehrschüsse.«
    Für die Juden war Winsgate ein Held, aber britische Offiziere empfanden sein Vorgehen zunehmend als kontraproduktiv und waren auch von seinem privaten Verhalten nicht begeistert. Es hieß, er öffne Gästen manchmal splitternackt die Tür und habe eine Affäre mit einer Opernsängerin. Selbst Dayan musste zugeben: »An den üblichen Maßstäben gemessen war es natürlich nicht normal. Nach Kampfeinsätzen saß er splitternackt in der Ecke, las in der Bibel und verspeiste rohe Zwiebeln.« Sein Divisionskommandeur, Generalmajor Bernard Montgomery, bezeichnete Wingate, dessen kämpferisches Draufgängertum und zionistische Parteinahme ihm missfielen, Dayan gegenüber später als »psychisch labil«. Wingate wurde ins Jerusalemer Hauptquartier zurückbeordert. Jetzt, da man eigene Truppen zur Verstärkung hatte, wurden die jüdischen Milizen nicht mehr gebraucht. [260]
    »Mir ist es gleich, ob ihr Juden seid oder nicht«,

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