Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
zurückerobert.
»Was für ein trauriger Tag! Sein Märtyrertod bedrückte alle«, berichtete Wasif Jawhariyyeh. »Ein patriotischer Kämpfer von arabischem Adel!« Am Freitag, dem 9. April, blieb »niemand zu Hause. Alle zogen im Trauerzug mit. Ich war bei der Beerdigung«, hielt Wasif fest. Dreißigtausend Trauernde – arabische Kämpfer, die ihre Gewehre schwenkten, Soldaten der Arabischen Legion aus Jordanien, Bauern, die Notabelnfamilien – nahmen an der Beisetzung des gefallenen Abd al-Kadir Husseini teil, der auf dem Tempelberg neben seinem Vater, nicht weit von König Hussein in Jerusalems arabischem Pantheon beerdigt wurde. Kanonen feuerten elf Salutschüsse ab, Schützen schossen in die Luft, und ein Augenzeuge behauptete, dabei seien mehr Trauergäste getötet worden als beim Sturm auf Kastel. »Es klang, als ob eine Schlacht in Gang wäre. Kirchenglocken läuteten, Rufe nach Rache wurden laut; alle fürchteten einen zionistischen Angriff«, erinnerte sich Anwar Nusseibeh, der verzweifelt war. Aber die arabischen Kämpfer waren so versessen darauf, an Husseinis Beerdigung teilzunehmen, dass sie keine Schutztruppe in Kastel zurückließen. Der Palmach zerstörte die Festung.
Während Husseinis Beerdigung stürmten Irgun und Lechi gemeinsam mit 120 Mann das arabische Dorf Deir Yassin westlich von Jerusalem und begingen das schändlichste jüdische Massaker dieses Krieges. Sie hatten ausdrücklichen Befehl, Frauen, Kindern und Gefangenen nichts anzutun. Als sie in das Dorf vordrangen, gerieten sie unter Beschuss. Vier jüdische Kämpfer wurden getötet, einige Dutzend verwundet. Sobald sie in Deir Yassin waren, warfen die jüdischen Kämpfer Handgranaten in die Häuser und töteten Männer, Frauen und Kinder. Die Zahl der Opfer ist bis heute umstritten, aber es wurden 100 bis 254 Menschen ermordet, darunter ganze Familien. Die Überlebenden wurden triumphierend auf Lastwagen durch Jerusalem gefahren, bis die Haganah sie freiließ. Irgun und Lechi war sicher klar, dass ein spektakuläres Massaker viele arabische Zivilisten in Angst und Schrecken versetzen und zur Flucht veranlassen würde. Der Irgun-Kommandeur, Begin, schaffte es, abzustreiten, dass diese Gräuel je stattgefunden hatten, und sich gleichzeitig mit ihrem Nutzen zu brüsten: »Die Legende [von Deir Yassin] hatte für die Streitkräfte Israels den Wert von einem halben Dutzend Bataillonen. Die Araber gerieten in Panik.« Ben-Gurion entschuldigte sich bei König Abdullah, der die Entschuldigung jedoch zurückwies.
Die Araber rächten sich umgehend. Am 14. April fuhr ein jüdischer Konvoi aus Krankenwagen und Lebensmittellastern zum Hadassah-Krankenhaus auf den Skopusberg. Bertha Spafford sah, wie »150 Aufständische mit Waffen, die von Donnerbüchsen und alten Steinschlossgewehren bis zu modernen Sten- und Bren-Maschinengewehren reichten, hinter einem Kaktusbeet auf dem Gelände der Amerikanischen Kolonie Stellung bezogen«. Sie schrieb: »Ich ging hinaus, stellte mich vor sie und sagte: ›Von der Amerikanischen Kolonie aus zu schießen ist genauso, als würde man aus einer Moschee schießen.‹« Aber sie ignorierten ihre mahnende Erinnerung an sechzig Jahre philanthropischen Engagements und drohten, sie zu töten, wenn sie sich nicht zurückziehe. Siebenundsiebzig Juden, überwiegend Ärzte und Krankenschwestern, wurden getötet, bevor die Briten einschritten. »Hätte die Armee nicht eingegriffen, hätte kein einziger jüdischer Passagier überlebt«, erklärte das Hohe Arabische Komitee. Die Heckenschützen verstümmelten die Leichen und fotografierten sich gegenseitig mit Leichen in makabren Posen. Die Aufnahmen wurden anschließend massenhaft als Postkarten in Jerusalem verkauft.
Deir Yassin war ein entscheidendes Ereignis dieses Krieges: Es wurde zum Kernstück einer grauenerregenden arabischen Medienkampagne, die ausschweifend über jüdische Gräueltaten berichtete. Sie sollte den Widerstand stärken, löste aber stattdessen geradezu eine Psychose böser Vorahnungen in einem Land aus, das sich ohnehin bereits im Kriegszustand befand. Vor dem Massaker von Deir Yassin hatten bis zum März 75 000 Araber ihre Heimat verlassen. Zwei Monate später waren 390 000 geflüchtet. Wasif Jawhariyyeh, der mit Frau und Kindern unweit vom King David Hotel in Westjerusalem lebte, war vermutlich ein typisches Beispiel – und er hielt seine Gedanken und sein Verhalten in einem Tagebuch fest, das eine einzigartige, aber viel zu wenig genutzte Quelle
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