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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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Gelegenheiten, die sich auftaten, wenn so viele fremde Männer und Frauen mit religiöser Leidenschaft und sinnlicher Erregung zusammenkamen. Nach seiner Ansicht waren hier alle Versuchungen und die ganze Menschheit versammelt, Prostituierte, Schauspieler und Clowns. »Es gibt keine Schändlichkeit, die sie nicht begehen«, stellte Gregor von Nyssa, ein anderer heiliger, aber scharfsichtiger Pilger, fest. »Betrug, Ehebruch, Diebstahl, Götzenanbetung, Giftmord, Streithändel und Mord sind alltägliche Begebenheiten.«
    Kaiserliche Förderung, Monumentalbauten und der Pilgerstrom sorgten in der Stadt für einen neuen Feiertagskalender und neue Rituale, deren Höhepunkt Ostern bildete, und schufen eine neue spirituelle Geographie Jerusalems, die auf den Stätten der Passion Jesu basierte. Namen wurden geändert und Traditionen vermengt, aber in Jerusalem zählt nur das, was für wahr gehalten wird. [92] Eine weitere Pionierin, die spanische Nonne Egeria, besuchte Jerusalem in den 380er Jahren und schilderte die ständig wachsende Flut von Reliquien in der Grabeskirche, zu denen mittlerweile der Ring König Salomos, das Horn mit Öl, mit dem David gesalbt wurde, die Dornenkrone Jesu und die Lanze gehörte, die seine Seite durchstach. [93]
    Der Schauplatz und die Heiligkeit trieben manche Pilger in ein Delirium, das es nur in Jerusalem gab: Man musste das wahre Kreuz besonders bewachen, weil Pilger versuchten, Stücke davon abzubeißen, wenn sie es küssten. Der bärbeißige Hieronymus konnte dieses ganze theatralische Geschrei nicht ertragen – und ließ sich daher in Bethlehem nieder, um an seinem Meisterwerk, der Bibelübersetzung aus dem Hebräischen ins Lateinische, zu arbeiten. Er kam jedoch häufig nach Jerusalem und hielt nie mit seiner Meinung hinter dem Berg. So schnaubte er verächtlich über die ungehobelten britischen Pilgerscharen: »Der himmlische Hof steht sowohl von Jerusalem wie von Britannien aus in gleicher Weise offen.« Als er die inbrünstigen Gebete seiner Freundin Paula an dem Kreuz im Heiligen Garten sah, behauptete er gehässig, sie sehe aus, »als ob sie den Herrn an demselben hängen sähe«, und küsse das Grab »wie ein Durstiger das heißersehnte Wasser«. »Ganz Jerusalem und der Herr selbst, den sie anflehte, weiß, wie viele Tränen und Seufzer sie dort vergossen«.
    Aber ein Schauspiel, das ihm gefiel, fand auf dem Tempelberg statt, den man zur Bestätigung der Prophezeiungen Jesu verwüstet liegen ließ. Jedes Jahr am 9. Ab sah Hieronymus voller Freude, wie die Juden der Zerstörung des Tempels gedachten: »Diese Ungläubigen, die den Diener Gottes töteten – diese Menge Elender versammelt sich, und während die Auferstehungskirche schimmert und das Kreuzesbanner vom Ölberg strahlt, beklagt das elende Volk die Ruinen seines Tempels … und der Soldat verlangt Geld, damit sie noch länger weinen dürfen.« Obwohl Hieronymus fließend Hebräisch sprach, hasste er die Juden, die sich »wie die Würmer« vermehrten, und genoss voller Genugtuung dieses abstruse Schauspiel, das die siegreiche Wahrheit Christi bestätigte: »Kann noch einer, der dies sieht, am Tag der Bedrängnis und des Leids zweifeln?«. Allein schon das tragische Elend der Juden verdoppelte ihre Liebe zu Jerusalem. Für Rabbi Berachja war diese Szene ein ebenso heiliges wie bitteres Ritual: »Wir kommen in Stille und gehen in Stille, wir kommen mit Weinen und gehen mit Weinen, wir kommen in finsterer Nacht und gehen in finsterer Nacht«.
    Aber nun sollte die Kaiserin, die Jerusalem regieren würde, Hoffnungen bei den Juden wecken. [71]
    Barsoma und die paramilitärischen Mönche
    Chauvinistische Historiker schilderten Kaiserinnen tendenziell als abscheuliche, bösartige Huren oder als wahre Heilige, aber Kaiserin Eudokia fand ungewöhnliches Lob wegen ihrer Schönheit und ihres Kunstsinns. Die schöne Frau von Kaiser Theodosius II. kam 438 nach Jerusalem und lockerte die Gesetze gegen die Juden. Gleichzeitig traf Barsoma von Nisibis, ein Synagogen niederbrennender Asket, auf einer seiner regelmäßigen Wallfahrten mit einem räuberischen Gefolge paramilitärischer Mönche in der Stadt ein.
    Eudokia beschützte Heiden und Juden, weil sie selbst als Heidin aufgewachsen war. Die bemerkenswerte Tochter eines Athener Sophisten besaß rhetorische und literarische Bildung und kam nach Konstantinopel, um den Kaiser um Hilfe zu bitten, nachdem ihre beiden Brüder sie um ihr Erbe gebracht hatten. Theodosius II. war ein leicht

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