Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
zu beeinflussender junger Mann, der unter den Fittichen seiner frommen, reizlosen Schwester Pulcheria stand. Sie stellte Eudokia ihrem Bruder vor, der auf der Stelle von ihr hingerissen war und sie heiratete. Pulcheria dominierte die Regentschaft ihres Bruders und intensivierte die Verfolgung der Juden, die nun aus der Armee und dem öffentlichen Leben ausgeschlossen und zu Bürgern zweiter Klasse degradiert wurden. Im Jahr 425 ließ Theodosius den letzten jüdischen Patriarchen, Gamaliel VI., als Strafe für den Bau weiterer Synagogen hinrichten und schaffte dieses Amt endgültig ab. Nach und nach erlangte Eudokia mehr Einfluss, und Theodosius erhob sie zur Augusta, die auf einer Stufe mit seiner Schwester stand. Ein farbiges Steinmosaik in einer Kirche in Konstantinopel zeigt sie majestätisch mit schwarzem Haar, zierlicher Nase, schlank und elegant.
In Jerusalem baten die zunehmend von Konstantinopel unterdrückten Juden Eudokia, ihnen den Zugang zur Heiligen Stadt zu erleichtern, und sie erlaubte ihnen, zu ihren Hauptfesten ungehindert den Tempelberg zu besuchen. Das war eine wunderbare Neuigkeit, und die Juden erklärten, sie sollten sich alle aufmachen, »nach Jerusalem zu pilgern zum Laubhüttenfest, denn dann wird unser Königreich in Jerusalem errichtet«.
Aber die Freude der Juden empörte jenen anderen Jerusalembesucher, den syrischen Mönch Barsoma von Nisibis, der zu den neuartigen Führern einer militanten monastischen Bewegung gehörte. Im 4. Jahrhundert begannen gewisse Asketen, als Reaktion auf die weltlichen Werte der Gesellschaft und den Prunk der Klerikerhierarchien Klöster in der Wüste zu gründen, um zu den Werten des Urchristentums zurückzukehren. Den Eremiten – abgeleitet von dem griechischen Wort für »Wildnis« – genügte es nicht, die richtige Formel für das Wesen Christi zu kennen, sie hielten darüber hinaus auch ein tugendhaftes Leben für notwendig und lebten daher in Haarhemden und zölibatärer Einsamkeit in der Wüste Ägyptens und Syriens. [94] Man feierte ihre Heiligkeit, die sie durch Selbstgeißelungen demonstrierten, schrieb ihre Biographien (die ersten Hagiographien), besuchte ihre Einsiedeleien und bestaunte ihr unbequemes Leben. Die beiden heiligen Simon lebten jahrzehntelang jeweils auf einer 9 Meter hohen Säule, was ihnen den Beinamen Stylites (von stylos , Säule), Säulenheilige, eintrug. Ein anderer Säulenheiliger, Daniel, antwortete auf die Frage, wie er seine Notdurft verrichte, trocken: wie ein Schaf. Hieronymus war denn auch der Ansicht, dass es ihnen eher um Schmutz als um Heiligkeit gehe. Aber diese Mönche waren alles andere als friedfertig. Jerusalem, wo es viele Klöster gab und im Umland nun neue entstanden, war diesen Trupps fanatischer Straßenkämpfer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Barsoma, der angeblich so heilig war, dass er sich nie setzte oder hinlegte, war empört über das Wiederaufleben jüdischer und samaritanischer »Götzenanbeter« und beschloss, Palästina von ihnen zu säubern. Er und seine Mönche töteten Juden und brannten Synagogen nieder. Aus Gründen der Ordnung verbot der Kaiser diese Gewalttaten, aber Barsoma ignorierte ihn. Barsomas Mönchstrupps griffen nun mit Schwertern und Knüppeln unter den Kutten die Juden auf dem Tempelberg an, steinigten und töteten viele und warfen ihre Leichen in Zisternen und Höfe. Die Juden wehrten sich, ergriffen 18 Angreifer und übergaben sie dem byzantinischen Statthalter, der sie wegen Mordes anklagte. Man führte »diese Räuber in respektablen Mönchskutten« vor die pilgernde Kaiserin Eudokia. Sie waren des Mordes schuldig, aber als sie Barsoma in die Sache hineinzogen, verbreitete er das Gerücht, edle Christen sollten lebendig verbrannt werden. Die Menge schlug sich auf Barsomas Seite, vor allem als er ein gerade zur rechten Zeit eintretendes Erdbeben als Zeichen göttlicher Zustimmung auslegte.
Wenn die Kaiserin vorhabe, Christen hinzurichten, »verbrennen wir die Kaiserin und alle, die bei ihr sind«, schrien Barsomas Anhänger. Mit Einschüchterung erwirkte Barsoma eine offizielle Bestätigung, dass die jüdischen Opfer keinerlei äußere Verletzungen aufgewiesen hätten, sondern eines natürlichen Todes gestorben seien. Ein weiteres Erdbeben schürte die weitverbreitete Angst. Die Stadt drohte außer Kontrolle zu geraten. So blieb Eudokia kaum etwas anderes übrig, als einzulenken. »Fünfhundert Gruppen« paramilitärischer Mönche patrouillierten durch die Straßen,
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